Politik Ein „Pfälzer Sinto“ im Europaparlament
Die Pfalz ist wieder mit zwei Abgeordneten im Europaparlament vertreten. Seit Anfang Juli gehört neben Michael Detjen (SPD) auch Romeo Franz zu den 751 EU-Parlamentariern. Der 51-jährige Grünen-Politiker ist zugleich der erste Sinto im Straßburger Abgeordnetenhaus.
Eigentlich könnte Romeo Franz schon seit 2014 im Europaparlament sitzen. Aber dann kippte das Bundesverfassungsgericht kurz vor der Europawahl die bis dahin geltende Drei-Prozent-Klausel und ebnete so auch Klein- und Splitterparteien den Weg nach Straßburg. Die Folge: Statt Franz schaffte Udo Voigt den Einzug ins Parlament. Ausgerechnet Voigt, langjähriger Vorsitzender der rechtsextremen, fremdenfeindlichen NPD. „Das hat schon ziemlich wehgetan“, sagt Franz im Rückblick. Mit einiger Verzögerung hat es für Franz, der seit neun Jahren in Ludwigshafen lebt, doch noch geklappt: Er rückte für seinen Grünen-Parteifreund Jan Philipp Albrecht nach, der als Umweltminister nach Schleswig-Holstein geht. Gleich bei seiner ersten Rede Anfang Juli bot sich Franz die Gelegenheit, eine politische Duftmarke zu setzen: Kurz zuvor hatte der italienische Innenminister Matteo Salvini von der fremdenfeindlichen Lega mit der Idee, Sinti und Roma in seinem Land zählen zu lassen, für Aufregung und Empörung gesorgt. Romeo Franz nahm sich des Themas vor den EU-Parlamentariern an, zeigte klare Kante. „Jetzt haben die Nazis mal echt ein Feindbild“, sagt er – und wirkt dabei keineswegs unglücklich. Manchmal vermittelt Romeo Franz den Eindruck, er könne selbst nicht recht fassen, was in den vergangenen Jahren alles passiert ist. Es ist ja auch eher außergewöhnlich, dass einer 2011 den Grünen beitritt, nur um schon zwei Jahre später für den Bundestag und im Jahr darauf fürs Europaparlament zu kandidieren. Er habe Politiker werden wollen, weil er als Bürgerrechtler, der für die Belange der Sinti und Roma kämpft, sich beim Kontakt mit Politikern immer wieder als „Bittsteller“ gefühlt habe. „Das hat mich unheimlich gestört“, begründet Franz seinen Entschluss, sich für politische Ämter zu bewerben. Zuvor war er unter anderem ein Jahrzehnt lang stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands der Sinti und Roma in Rheinland-Pfalz. Auch als Europaabgeordneter bleibt Franz vorerst geschäftsführender Direktor – ohne Gehalt – der in Mannheim ansässigen Hildegard-Lagrenne-Stiftung, die er seit 2014 leitet. Die 2012 gegründete Stiftung, laut Franz die bundesweit einzige dieser Art, hat sich der „Bildung, Inklusion und Teilhabe“ von Sinti und Roma verschrieben. Gefördert werden, betont Franz, nicht nur junge Menschen. Dann erzählt er von der 75-Jährigen, die einen Förderantrag stellte, um Lesen und Schreiben zu lernen. Der Antrag wurde genehmigt. Als die Frau Monate später im Stiftungsbüro erschien und Franz sie fragte, weshalb sie sich in ihrem Alter noch diesen Mühen unerzogen habe, lautete die einfache Antwort: um die Bibel lesen zu können. Neben den politischen Dossiers, die er von seinem Vorgänger Albrecht übernommen hat, will Romeo Franz sich in Straßburg vor allem für die Belange der schätzungsweise zwölf Millionen Sinti und Roma in Europa einsetzen und „den Antiziganismus aus der Tabuzone holen“. Dabei setzt er, der sich selbst als Pragmatiker und Moderator bezeichnet, auf die Zusammenarbeit auch über Parteigrenzen hinweg. Zudem, das ist ihm ganz wichtig, sucht er den Austausch mit denen, für die er Politik macht. „Wir müssen weg vom paternalistischen Ansatz“, betont Franz. Deshalb nutzt er die Parlamentsferien, um in die europäischen „Hotspots“ zu reisen, wo Sinti und Roma leben. Dort will er mit den Menschen sprechen, sich ihre Situation schildern lassen, ihre Bedürfnisse kennenlernen. Auch ihm bereite das veränderte politische Klima in Europa Sorgen, wo wieder mehr auf Abschottung und Ausgrenzung gesetzt werde, bekennt Franz. Zugleich warnt er davor, den „Rechten“ den Raum und die öffentliche Aufmerksamkeit zu überlassen. Diese machten nur etwa 20 Prozent aus, die restlichen 80 Prozent seien „Rechtschaffene“, deren Stimme aber nicht oder nur leise zu vernehmen sei. Überhaupt, Deutschland sei „kein Land der Rassisten und der Rechten“, ist Franz überzeugt. In diesem Land ist Romeo Franz 1966 geboren, genauer: in Kaiserslautern. Als „Sohn einer Holocaust-Überlebenden“, wie er sagt. Sechs seiner direkten Angehörigen überlebten das „Dritte Reich“ nicht, „sie wurden als Zigeuner ermordet“. „Ich bin ein Pfälzer Sinto“, antwortet Franz auf die Frage, als was er sich denn fühle, um gleich nachzuschieben, dass seine Vorfahren, die aus Berlin und Danzig in die Pfalz kamen, eigentlich „preußische Sinti“ seien. Und noch etwas ist Romeo Franz: Musiker. Die Liebe zur Musik und das Talent sind quasi Familienerbe, schon sein Großvater, ein Opernsänger, und dessen Brüder traten als Band auf. Ihnen tat es Romeo Franz nach, das Romeo Franz Ensemble ist seit Jahrzehnten vielen Musikfreunden ein Begriff. „Ohne Musik könnte ich nicht leben“, bekennt Franz – aber zumindest öffentlich auftreten wird er in Zukunft eher selten. Stattdessen leitet sein Sohn Sunny künftig das Ensemble. „Mein Sohn ist musikalisch schon viel besser als ich“, attestiert der Vater dem 18-Jährigen – was etwas heißen will aus dem Mund von einem, der einst Meisterschüler des virtuosen Geigers Schnuckenack Reinhardt war.