Rückblick 2020 Hochstraßenabriss: Meisterleistung mit Macken

So sah die Baustelle Ende Juni knapp drei Wochen nach dem Abrissbeginn aus.
So sah die Baustelle Ende Juni knapp drei Wochen nach dem Abrissbeginn aus.

Trotz Holperstart und Corona-Pandemie geht der Rückbau der Pilzhochstraße in 106 Tagen über die Bühne. Den Erfolg trübt ein juristisches Nachspiel und ein Streit um viel Geld. Es geht um Nachforderungen der Abrissfirma in Höhe von 5,7 Millionen Euro.

Es ist zweifellos eine Meisterleistung, allerdings flankiert von kleineren Pleiten, etwas Pech, so manchen Pannen – und einer millionenschweren Nachforderung der Abrissfirma. Dem Unternehmen Moß aus dem Emsland gelingt es, den maroden 500-Meter-Abschnitt der Hochstraße Süd in nicht einmal vier Monaten komplett abzutragen: relativ geräuschlos, weitgehend unfallfrei und mithilfe Hunderter Baumstämme, tonnenschwerer Stützen sowie kostspieliger Spezialanfertigungen. Trotz der Pandemie. Trotz anfänglicher Lieferengpässe. Trotz täglicher Beobachtung durch kritische Anwohner und neugierige Journalisten. Dafür wird das Team um Bauleiter Stefan Feldmann von allen Seiten gelobt. Nachbarn backen sogar Kuchen für die Truppe.

Konflikt spitzt sich zu

Dass sich im Hintergrund ein Konflikt zwischen der Stadtverwaltung und der Firmenleitung zuspitzt, bekommt lange keiner mit. Bis die Angelegenheit am 29. September, wenige Tage, nachdem das letzte Brückenteil fällt, vor der 6. Zivilkammer des Frankenthaler Landgerichts landet: ein Gütetermin im Eilverfahren, von dem die RHEINPFALZ als einziges Medium Wind bekommt. Beantragt wird die einstweilige Verfügung für erste Abschlagszahlungen bereits am 1. September. Bums. Da ist dann vorerst Schluss mit dem Abriss-Kuscheln.

Mehrkosten für Material und Montage

Die Firma, für 5,1 Millionen Euro beauftragt, fordert wegen zusätzlich erbrachter Leistungen, die vom Auftraggeber angeordnet worden sein sollen, Nachzahlungen in Höhe von exakt 5.685.563,20 Euro. Es geht um Mehrkosten für Material, hohe Sicherheitsstandards und die Montage der massiven Stütztürme, die einen unkontrollierten Einsturz der Trasse verhindern sollen.

Kritik an der Verwaltung

Im Sitzungssaal 10 des Landgerichts spart Moß-Anwalt Florian Herbst – wie später auch in einem RHEINPFALZ-Interview – nicht mit Kritik an der Stadt. Sie verletze Vertragsbedingungen, verstoße gegen das Kooperationsgebot am Bau und weigere sich seit Monaten, über nachträgliche Vergütungen zu verhandeln. Dass die Firma Moß – 170 Mitarbeiter, 40 Millionen Euro Jahresumsatz – vor Gericht ziehe, sei eine Art „Notwehr“. Die Stadtspitze äußert sich nicht zum laufenden Verfahren. Wichtig sei ihr ein verantwortungsvoller Umgang mit Steuergeldern, betont Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (SPD). Gewisse Nachforderungen seien in der Baubranche üblich.

Ein Vergleich scheitert

Ein greifbarer Vergleich vor Gericht, um die Liquidität des Betriebs zu sichern, scheitert am Rechtsvertreter der Stadt. Roland Sturm lehnt es ab, dass die Kosten des Verfahrens gleichermaßen auf beide Parteien verteilt werden – so, wie es die Richter vorgeschlagen hatten.

„Die Firma wird erhalten, was ihr zusteht“, sagt der seit Juli amtierende Baudezernent Alexander Thewalt (parteilos). Wie viel das ist, könne er nicht abschätzen. Mit einer Entscheidung rechnet der 53-Jährige im ersten Halbjahr 2021, noch vor der Sommerpause. Er führt die außergerichtlichen Verhandlungen, nachdem das Unternehmen seinen Antrag vor Gericht Mitte Oktober etwas überraschend zurückgezogen hat. Beide Parteien haben Stillschweigen über die Gespräche vereinbart. Seither wird hinter den Kulissen „gefeilscht“.

Finanzierung weiter ungeklärt

An der Baustelle entspannt sich die Lage schrittweise. Das im Februar vom Bund verabschiedete Planungsbeschleunigungsgesetz, auch Hochstraßengesetz genannt, hilft. Es vereinfacht Genehmigungsverfahren bei einem 1:1-Wiederaufbau. Der soll in Ludwigshafen 2025/26 stehen. Das Gesamtprojekt soll einen dreistelligen Millionenbetrag kosten. Die Finanzierungsfrage ist weiter ungeklärt. Das Problem der Materialbeschaffung löst sich. Den Abrissbeginn am 11. Juni verfolgen viele Schaulustige. Das befürchtete Verkehrschaos bleibt aus. Mitte September wird der Knotenpunkt Berliner Platz wieder komplett für Busse und Bahnen freigegeben. Offizielle Baustellenübergabe ist am 28. Oktober. Im Bereich der gesperrten Berliner Straße rollt der Verkehr seit 11. Dezember wieder. Die Mundenheimer Straße ist bereits seit Juli wieder offen – der Anfang vom Ende einer geteilten Innenstadt.

Für den Verkehr gesperrt wurde die Pilzhochstraße im August 2019, drei Monate später wurde Einsturzgefahr diagnostiziert, kurz danach ihr zügiger Abriss vom Stadtrat beschlossen. Begleitet wird der Prozess von einem digitalen Bürgerdialog.

Zur Sache: Der Abriss in Zahlen

Der Rückbau der rund 500 Meter langen Pilzhochstraße hat nach Stadtangaben insgesamt 210 Tage gedauert, der reine Abriss des Trassenstücks ab 11. Juni 106 Tage. Unter anderem wurden folgende Materialien benötigt, auch für die massiven Stütztürme: 432 Betonzahnräder (Einzelgewicht: je 500 Kilo), 216 Stahlplatten (je 400 Kilo), 1296 Bäume (54 Türme mit je 24 Baumstämmen), 4000 sogenannte Baggermatratzen zum Schutz des Untergrunds, über 23.000 Unterlegscheiben, Stahlgewinde mit einer Gesamtlänge von zehn Kilometern und 600 Tonnen Mörtel für den Formschluss-Beton. Rund 30.000 Tonnen Bauschutt mussten entsorgt werden sowie 1500 Tonnen Betonstahl und 2500 Tonnen Asphaltbelag.

Die Bagger beißen zu: Um den Staub zu binden, wurde Wasser mit Schläuchen auf die Baustelle gespritzt. Umgerechnet waren es mehr
Die Bagger beißen zu: Um den Staub zu binden, wurde Wasser mit Schläuchen auf die Baustelle gespritzt. Umgerechnet waren es mehr als 11.000 Badewannen.
Offizielle Bauabnahme der Baustelle war am 28. Oktober.
Offizielle Bauabnahme der Baustelle war am 28. Oktober.
Als Andenken verkaufte die Marketinggesellschaft Lukom Gesteinsbrocken der abgerissenen Pilzhochstraße.
Als Andenken verkaufte die Marketinggesellschaft Lukom Gesteinsbrocken der abgerissenen Pilzhochstraße.
Stand der Abrissarbeiten am 9. September.
Stand der Abrissarbeiten am 9. September.
Blick auf die Baustelle am 2. September.
Blick auf die Baustelle am 2. September.
Gefragter Ansprechpartner: Bauleiter Stefann Feldmann von der Firma Moß.
Gefragter Ansprechpartner: Bauleiter Stefann Feldmann von der Firma Moß.
Abfräsarbeiten auf der Pilzhochstraße.
Abfräsarbeiten auf der Pilzhochstraße.
Kiebitze beim Abrissbeginn am 11. Juni.
Kiebitze beim Abrissbeginn am 11. Juni.
Die jeweils 20 Tonnen schweren Stützen verhinderten einen unkontrollierten Einsturz der maroden Trasse.
Die jeweils 20 Tonnen schweren Stützen verhinderten einen unkontrollierten Einsturz der maroden Trasse.
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