Politik Leitartikel zur Bundestagswahl: Auf nach Jamaika!

Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin. Aber sie geht

geschwächt in die Koalitionsverhandlungen mit FDP und Grünen.

Die Republik ist geteilt. Die Ostdeutschen sind unzufrieden. Die SPD muss sich in der

Opposition fit machen für die Zeit nach der Ära Merkel.

Die große Koalition ist abgewählt, nur die Kanzlerin bleibt. Aber ihre vierte Kanzlerschaft wird für Angela Merkel die schwierigste werden. Das schlechteste Wahlergebnis der Union seit 1949 haben sie und CSU-Chef Horst Seehofer zu verantworten. Die Frage, wer Merkel in der CDU einmal beerben wird, lässt sich nun nicht mehr unter der Decke halten. Wie ihre Vorgänger Adenauer und Kohl ist sie jetzt Gefangene ihrer Machterhaltungsstrategie. Einen vorzeitigen Abgang selbstbestimmt zu schaffen und gleichzeitig die Union auch über die nächste Wahl hinaus in der Regierung zu halten, ist schier unmöglich. Selbstverständlich kann man Merkels Ergebnis auch ganz anders deuten. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise hatten viele sie abgeschrieben. Sie aber hat an der Lösung der Probleme hart gearbeitet. Sie hat es geschafft, dass die Union immer noch die mit Abstand stärkste Partei ist und die Mehrheit der Deutschen sie als Kanzlerin behalten will. Bald wird sie länger regieren als Adenauer. Vor allem wegen ihrer Uneitelkeit, ihrer Klugheit und ihres unaufgeregten Führungsstils hat sich noch kein Überdruss an Merkel breit gemacht. Die SPD hat ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis im Bund eingefahren. Der von der Partei so euphorisch gefeierte Wechsel von Sigmar Gabriel zu Martin Schulz hat sich nicht ausgezahlt. Schulz kann einem leidtun. Unermüdlich hat er gekämpft. Aber Einsatz ersetzt nicht zündende Ideen. Die SPD leidet an Merkel. Die Kanzlerin hat die politische Mitte für die CDU gepachtet. Das ist ihr Erfolgsrezept. Nun wird Schulz die SPD zu erneuern suchen. In der Opposition. Das ist richtig für die SPD und gut für den Bundestag. Wenn Merkel abtritt, muss die SPD fit sein. Dann hat sie wieder eine Machtchance. Merkels Behauptung der politischen Mitte hat die rechte Flanke geöffnet. Die AfD hat sich das zunutze gemacht. Ihr Einzug in den Bundestag wird die Politik verändern – mehr atmosphärisch als inhaltlich. Unter den fast 90 Abgeordneten der AfD werden viele Rechtsradikale sein. Wird die Fraktion das aushalten? Und werden all jene Bürger, die die AfD aus Protest gewählt haben, deren nationalistische Strömung hinnehmen? Angela Merkel ist das größte Feindbild der AfD-Wähler. Werden sie respektieren, dass Merkel weitaus mehr Anhänger als Gegner in der Bevölkerung hat? Deutschland ist gespalten: Eine klare Mehrheit der Bürger ist zufrieden mit dem Staat und der persönlichen Situation. Aber eine starke Minderheit fühlt sich abgehängt und unverstanden. Im Osten ist diese Minderheit doppelt so groß wie im Westen. Die künftige Bundesregierung muss diese Spaltung überwinden. Nun muss ein Jamaika-Bündnis kommen. Eine große Koalition oder gar Neuwahlen sind dazu nur eine schlechte Alternative. CDU, CSU, FDP und Grüne auf ein Regierungsprogramm einzuschwören, wird verdammt schwierig. Die CSU wird jeden Kompromiss, der ihre Aussichten bei der Landtagswahl in Bayern 2018 schmälert, meiden wie der Teufel das Weihwasser. Die FDP strotzt vor wiedergewonnener Kraft und weiß viele Jungwähler hinter sich. Und die Grünen agieren auf Augenhöhe mit den Liberalen, weil sie besser abgeschnitten haben als erwartet. Um ein Jamaika-Bündnis zu schmieden, wird es viel Geduld, Geschick und Kompromissbereitschaft brauchen. Wem, außer Angela Merkel, könnte das gelingen? Die Politik in Deutschland ist spannend. Die Wahlbeteiligung ist kräftig gewachsen. Das ist ein Erfolg für unsere Demokratie.

x