Politik Leitartikel: Angela Merkels Einsicht

Spät, aber nicht zu spät hat die CDU-Vorsitzende

den Weg zur Erneuerung ihrer Partei eröffnet.

Annegret Kramp-Karrenbauer geht dabei voran. Die CDU ist der SPD überlegen,

weil sie sich auch in schwieriger Zeit

in Geschlossenheit übt.

Der Gegensatz könnte kaum größer sein: In den fünf Monaten seit der Bundestagswahl hat sich die SPD nahezu selbst erlegt. Die CDU dagegen, auf der doch das zweitschlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte lastet, übt sich in Geschlossenheit. Der ausschlaggebende Unterschied zwischen den beiden Parteien liegt im handelnden Personal. Die Männer Martin Schulz und Sigmar Gabriel auf Seiten der SPD haben ihre persönlichen Ambitionen und Eitelkeiten nicht im Zaum halten können. Angela Merkel auf Seiten der CDU dagegen behielt die Aufgabe der Regierungsbildung kühl und unaufgeregt im Blick. Nun ist sie kurz vorm Ziel. Ihr Ehrgeiz, Kanzlerin zu bleiben, wird wohl befriedigt werden. Weil sie das ohne Eitelkeit bewerkstelligt, ist sie so viel erfolgreicher als andere. Die SPD wird nicht zugeben, dass sie fast neidisch auf diesen Politikstil schaut und stillschweigend hofft, Andrea Nahles möge sich Merkels Uneitelkeit zum Vorbild nehmen. Dabei sind Merkels Pragmatismus und ihre scheinbare Unerschütterlichkeit den Mitgliedern der Union fast schon auf die Nerven gegangen. Sie vermissten klare Ansagen und inhaltliches Profil bei ihrer Kanzlerin. Kaum noch einer bestritt, dass Merkel ihren Zenit hinter sich habe und ihre Nachfolge angepackt werden müsse. Merkel selbst tat zu wenig dafür, diesen Eindruck zu widerlegen. Ihre Reden waren ohne Esprit, sie setzte keine neuen Ziele, moderierte nur, gestaltete nicht. Aber sie hat es dann doch unter dem Druck der unzufriedenen Partei gerade noch rechtzeitig verstanden, dass sie etwas ändern muss. Und so hat sie überraschend deutlich den Weg zur inhaltlichen und personellen Erneuerung der CDU selbst eröffnet. Die Nominierung von Annegret Kramp-Karrrenbauer zur CDU-Generalsekretärin, die geplante Berufung ihres parteiinternen Kritikers Jens Spahn in die Bundesregierung wie auch die von ihr beabsichtigte Verjüngung des Kabinetts haben die Parteitagsdelegierten in Berlin überzeugt. Merkel konnte sich sogar eine Rede erlauben, die Pragmatismus pur war, jede Leidenschaft und Begeisterung vermissen ließ. Stattdessen diskutierten die Delegierten den Koalitionsvertrag leidenschaftlich und kontrovers. Sie entdeckten den Geist und die Bandbreite einer Volkspartei wieder und bekannten sich schließlich mit ganz großer Mehrheit dazu, dass die CDU die Verantwortung des Regierens wieder übernimmt. Was Merkel nicht wollte, nicht brauchte, vielleicht sogar nicht konnte, gelang Kramp-Karrenbauer. Ihre Nominierungsrede war fulminant, nicht in ihren Inhalten, aber in ihrer Wirkung auf die Partei. Die Saarländerin begeisterte sich an ihrer neuen Aufgabe und begeisterte damit die CDU. Ihr Wille, die Erneuerung von Partei und Programm voranzutreiben, traf auf eine sehnsüchtige Bereitschaft dazu. Ob Kramp-Karrenbauer das will oder nicht: Sie wird fortan in allen Debatten über die Nachfolge Merkels an erster Stelle genannt werden. Man kann sagen, dass Annegret Kramp-Karrenbauer ihrer Parteivorsitzenden in Berlin die Schau gestohlen hat. Man kann auch sagen, dass Angela Merkel es so wollte und die Regisseurin der Aufbruchstimmung in der CDU ist. Wenn die SPD-Mitglieder der GroKo zustimmen, wird Merkel vom Bundestag zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt. Sie wird es dann vermutlich bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben. Denn die SPD wird kein Interesse daran haben, schon vorher im Parlament eine Merkel-Nachfolge mitzuwählen – schon gar nicht, wenn es sich dabei um Annegret Kramp-Karrenbauer handelte.

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