Politik Koalitionsverhandlungen: „Wir wollen erreichen, dass …“

Mit diesen Worten beginnt der Schlüsselsatz im Kompromisspapier von CDU und CSU zur Flüchtlingspolitik. Darin wird die von den Bayern vehement geforderte Obergrenze nicht mehr erwähnt. Die Begrenzung der Flüchtlingszahlen ist lediglich ein Ziel, nicht aber ein Muss. Die gegenseitige Blockade der Unionsparteien ist damit beendet – aber zu einem hohen Preis.

Angela Merkel redet sieben Minuten. Zu Beginn der Pressekonferenz gestern erklärt sie, was am Sonntag in zehn langen Stunden diskutiert wurde. Sie spricht von einem „Regelwerk“, das nun in der Flüchtlingspolitik greifen soll, von einem „klassischen Kompromiss“, den CDU und CSU gefunden hätten, von einer Vielzahl konkreter Maßnahmen, die nun eingeleitet würden. Während Merkel spricht, steht Horst Seehofer nahezu regungslos an dem Pult neben ihrem, die Hände eisern hinter dem Rücken verschränkt, macht den Mund mal auf, mal zu. Seine Augen wandern durch das Atrium des Konrad-Adenauer-Hauses, hinweg über die Hauptstadtpresse mit ihren Kameras und Schreibblöckchen. Seehofer weiß: Er hat klein beigeben müssen im Obergrenzen-Streit. Der Satz, der im „Bayernprogramm“ der CSU zur Bundestagswahl stand, er findet sich im Kompromisspapier nicht wieder. Der Satz lautete: „Für Ordnung und Begrenzung bei der Zuwanderung ist eine Obergrenze unabdingbar.“ Vier Mal ist der Begriff im christsozialen Wahlprogramm zu finden, kein einziges Mal im Kompromisspapier der Union. Unabdingbar – auch dieses Wort kommt nicht vor. Was Merkel und Seehofer präsentieren, ist fast das Gegenteil des „Bayernplans“: Das Asylrecht wird nicht angetastet, die Genfer Flüchtlingskonvention auch nicht, niemand wird an der Grenze zurückgewiesen. So und nicht anders wollte es Merkel. Das individuelle Asylrecht wird nicht infrage gestellt. Weiterhin kann jeder an der Grenze um Asyl bitten. Das einzige Zugeständnis an Seehofer ist die Höchstzahl von 200.000, die sich allerdings nicht auf die Gesamtanzahl der Flüchtlinge bezieht, sondern auf deren Nettoanteil: Neuankömmlinge minus Ausreisende. Wenn besondere Umstände walten, also wenn internationale Krisen eine neue Flüchtlingswelle auslösen, können es eben auch mehr werden. Dann muss der Bundestag die – angestrebte – Höchstzahl anpassen „Auch der 200.001. Ankömmling bekommt ein ordentliches Verfahren“, verspricht Merkel. Mit dieser Formel konnte der seit knapp zwei Jahren bestehende Dissens zwischen CDU und CSU aus der Welt geschafft werden. Jetzt verkünden Seehofer und Merkel das als Erfolg. Glücklich sehen beide Parteivorsitzende dennoch nicht aus. Der Grund dafür ist nicht das Kompromisspapier, das tatsächlich den Namen „Regelwerk“ trägt, obwohl keine einzige Regel darin steht, sondern nur eine Reihe von Absichtserklärungen, die allerdings mit künftigen Koalitionspartnern noch konkretisiert werden müssen. Dass die beiden Parteichefs so unfroh dreinblicken, liegt an der Tatsache, dass es nicht schon viel früher möglich war, die „Annäherung der Standpunkte“ zu erreichen. Dies gelang erst, nachdem der Schaden in Gestalt eines aus Sicht der Unionsparteien schlechten Wahlergebnisses entstanden war. Und nachdem die AfD mit zweistelligen Prozentzahlen mehr Wähler an sich binden konnte als von vielen erwartet. „Müssen Sie sich nicht eingestehen, dass Sie beide schlicht und einfach versagt haben?“, will ein Journalist von Seehofer und Merkel wissen. Die Antwort ist nichtssagend: Merkel meint, „alles hat seine Zeit – und gestern war die Zeit“. Seehofer bemüht sich wenigstens, Verständnis für den mühsamen Klärungsprozess zu wecken. Schließlich sei das ja wie im Privatleben, da frage man sich auch, warum man dieses oder jenes nicht schon früher getan habe. Das gelte auch für Politiker, „die stehen ja auch mitten im Leben“. Und im Übrigen habe Merkel recht: „Alles hat seine Zeit.“ Für die CSU war offenbar auch die Zeit gekommen für ein neues Zuwanderungsgesetz, mit dem ausländische Fachkräfte legal auf den deutschen Arbeitsmarkt gelockt werden sollen. Allgemein wird diese Ankündigung als Erleichterung der möglichen Koalitionsgespräche mit der FDP gewertet. Für die Grünen schwer verdaulich ist der Passus, wonach die Liste der sicheren Herkunftsländer um Marokko, Algerien und Tunesien erweitert werden soll. Die Grünen, außer denen in Baden-Württemberg, stemmen sich dagegen. Bemerkenswert an dem Kompromisspapier der Union ist, dass es Anklänge an den „Plan A 2“ enthält, den die rheinland-pfälzische CDU-Landesvorsitzende Julia Klöckner, Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl 2016, vor eineinhalb Jahren vorstellte. Das Konzept sah unter anderem die Einrichtung von Zentren an der deutsch-österreichischen Grenze vor. Dort sollen Registrierung und Gesundheitschecks der Flüchtlinge sowie eine erste Prüfung der Asylanträge erfolgen. Merkel und Seehofer verständigten sich jetzt darauf, solche „Rückführungszentren“ für alle Neuankommenden zu errichten. Vorbild seien die schon bestehenden Einrichtungen in Manching, Bamberg und Heidelberg. Klöckner sagte gestern auf Anfrage, dies sei „eine kluge und pragmatische Vorgehensweise“. Es sei schließlich der falsche Weg, Asylsuchende ungeprüft auf die Kommunen zu verteilen. Die angestrebte Zahl von 200.000 Flüchtlingen und Asylbewerbern nannte sie eine „Richtgröße“. „Das ist ein atmendes System“, so Klöckner. Ihr „Plan A 2“ war damals als Abrücken vom Kurs der Kanzlerin und als einer der Gründe für Klöckners Niederlage gegen Amtsinhaberin Malu Dreyer (SPD) interpretiert worden.

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