Politik Werbung für Abtreibung: Bundestag debattiert

„Mein Körper ist keine Demokratie – ihr dürft hier nicht mitreden“, steht auf dem Plakat einer Demonstrantin vor dem Gießener Am
»Mein Körper ist keine Demokratie – ihr dürft hier nicht mitreden«, steht auf dem Plakat einer Demonstrantin vor dem Gießener Amtsgericht, als das Urteil gegen die Ärztin Kristina Hänel fällt. Sie hatte laut Gericht unerlaubte Werbung für Abtreibung gemacht.

Fast 100.000 Schwangerschaftsabbrüche gibt es pro Jahr in Deutschland. Unter welchen Umständen sie vorgenommen werden dürfen, regelt das Gesetz. Besonders umstritten ist dabei der mehr als 80 Jahre alte Paragraf 219a. Er verbietet Ärzten die „öffentliche Werbung“ für ihre Dienstleistung. Der Bundestag debattiert am Donnerstag über die Abschaffung des Paragrafen.

Unauffällig, aber in starkem Blau ist die Internetseite der Gießener Gynäkologin Kristina Hänel gestaltet – eine Willkommensbotschaft steht in der Mitte, ein Bild von einem Stethoskop und eine Handvoll Praxisfotos sind drumherum abgebildet. Doch unter dem Menüpunkt „Spektrum“ verbirgt sich etwas, das in den vergangenen Monaten bundesweit für eine hitzige Diskussion und einen handfesten politischen Konflikt gesorgt hat. Denn auf der Internetseite der Gießener Ärztin steht nicht nur, dass sie in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Über einen Link bekommen Frauen dort auch Zugriff auf ein Textdokument, das gesetzliche und medizinische Informationen zur Abtreibung enthält.

Amtsgericht verurteilte Ärztin

Das Gießener Amtsgericht verurteilte die Allgemeinmedizinerin im vergangenen November zu einer Geldstrafe von 6000 Euro. Sie habe auf ihrer Internetseite unerlaubte „öffentliche Werbung“ für den Schwangerschaftsabbruch gemacht – und damit gegen Paragraf 219a des Strafgesetzbuches verstoßen, begründete das Gericht sein Urteil. Das öffentliche Echo daraufhin war groß, überall im Land demonstrierten vor allem Frauen für ihr Recht auf Selbstbestimmung und für eine bessere Informationspolitik in Sachen Abtreibung. Auf der anderen Seite standen jene, die befürchteten, Ärzte seien mit einem derartigen Hinweis auf ihre Dienstleistung auf Werbung für die eigene Praxis und Profit aus. Hänel selbst legte gegen das Urteil Berufung ein. Ihr Fall wird nun beim Landgericht Gießen verhandelt. Gleichzeitig startete sie eine Online-Petition an den Deutschen Bundestag, in der sie ein Recht auf Informationen zum Schwangerschaftsabbruch fordert. Die bekommen Frauen noch auf ihrer Internetseite – allerdings per E-Mail. Der Hinweis, dass Hänel Abtreibungen vornimmt, ist geblieben.

Informationspolitik in der Kritik

„Genau hier liegt meiner Meinung nach das Problem“, sagt Pia Hardt, Diplom-Psychologin und Leiterin der Ludwigshafener Beratungsstelle von Pro Familia. Sie kritisiert die bundesweite Informationspolitik beim Thema Abtreibung: Es sei ein Unding, dass Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Voraussetzungen straffrei seien, aber keine Informationen öffentlich zugänglich gemacht werden dürften. Nicht zuletzt deshalb kämen Schwangere auch in ihre Sprechstunde, erklärt Hardt – um sich über medizinische Ansprechpartner, psychologische oder finanzielle Hilfen zu informieren. Da ist zum Beispiel die 18-jährige Saskia*. Sie ist schwanger – geplant war das nicht. Gerade erst hat sie ihre Ausbildung begonnen. Weil sie dort mit Kindern arbeitet, würde sie wegen der Schwangerschaft sofort ein Beschäftigungsverbot bekommen. Außerdem fühlt sich Saskia noch viel zu unreif, um Mutter zu werden. Ihr Partner und ihre Familie stehen hinter ihr, wollen sie unterstützen. Saskia will noch kein Kind, eine Abtreibung kommt für sie aus moralischen Gründen aber nicht in Frage. „Das ist ein besonders ambivalenter Fall“, sagt Hardt. Die junge Frau befinde sich im Zwiespalt und werde wohl sehr lange über ihre Entscheidung – Abtreibung, Freigabe zur Adoption oder das Kind behalten – nachdenken und Unterstützung brauchen. Die meisten Frauen, die in ihre Beratungsstelle kommen, hätten schon eine Entscheidung getroffen, sagt Hardt. „Mehr als die Hälfte der Frauen hat sich bis zum ersten Termin überlegt, was sie will.“ Folgetermine gebe es nur in einem von 20 Fällen. Meistens bekämen die Frauen noch zusätzliche Informationen, die sie benötigten, um eine Entscheidung zu treffen. Und die bekomme man schließlich nur bei Beratungsstellen wie der Pro Familia. „Dann kann ich nur Mut machen – den Frauen Anlaufstellen beispielsweise für finanzielle Unterstützung nennen oder ihnen und ihren Partnern psychologische Betreuung anbieten“, sagt Hardt.

Gesetz schützt ungeborenes Leben

So eine Schwangerschaftskonfliktberatung bieten in Rheinland-Pfalz fünf staatlich anerkannte Einrichtungen an. Außer bei Pro Familia, einem gemeinnützigen Verband von Beratungsstellen, können Frauen (und ihre Partner) auch Informationen beim Diakonischen Werk (evangelisch), beim Caritasverband (katholisch), beim Verein Donum Vitae (von katholischen Laien gegründet), bei der Frauenwürde (katholisch) und dem Verein Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) bekommen. Insgesamt 77 Einrichtungen gibt es landesweit. Basis aller Beratungen ist das Gesetz. Es stellt den Schutz des ungeborenen Lebens in den Fokus. Die Beratung hat sich „von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen“. Trotzdem müsse ein Berater den Wunsch jeder Frau, die sich für eine Abtreibung entscheidet, respektieren, sagt Hardt. „Selbst die Frauen, die entschieden kommen, gehen diesen Schritt nicht leicht.“ Am Ende einer Beratung – ausgenommen sind die Caritas- und SkF-Stellen – erhalten die Frauen eine Beratungsbescheinigung. Sie muss dem behandelnden Arzt vorgelegt werden. 78 Prozent der Abtreibungen in Deutschland im Jahr 2016 fanden laut Statistischem Bundesamt in gynäkologischen Praxen statt. Nur jede fünfte Frau ließ sie ambulant im Krankenhaus vornehmen. In Rheinland-Pfalz lag der Anteil sogar noch niedriger.

Abtreibung müssen Frauen meist selbst bezahlen

Dass der Hinweis der Gießener Ärztin auf ihr medizinisches Angebot sowie das Bereitstellen von Informationen – wie es in Paragraf 219a heißt – „Werbung“ sein sollen, sieht die Diplom-Psychologin Hardt nicht. Vielmehr gehe es dort um eine nüchterne Auflistung des Leistungsangebots. „Auf andere Eingriffe und Behandlungen, wie Schönheitsoperationen, dürfen Ärzte auf ihrer Internetseite auch hinweisen“, sagt Hardt. Natürlich seien die nicht mit einer Abtreibung vergleichbar. Dennoch handle es sich dabei um eine medizinische Dienstleistung. Die Kosten für eine Abtreibung müssen Frauen meist selbst übernehmen. Zwischen 270 und 500 Euro kostet ein Abbruch. Bei Empfängern von Sozialhilfe oder Hartz IV übernimmt das Land die Finanzierung. Gleiches gilt für Menschen, deren Bruttomonatslohn unter 1142 Euro liegt. Auch das erfahren Frauen in der Regel erst in der Beratungsstelle.

Informationspolitik entkriminalisieren

Für Hardt ist klar: Der Paragraf 219a gehört abgeschafft, die Informationspolitik soll entkriminalisiert werden. „So wie die Gesetzeslage jetzt ist, ist der Paragraf besonders für die Ärzte belastend, die jetzt diffamiert werden.“ Hardt ist mit ihrem Wunsch nach Abschaffung des Paragrafen nicht allein: Der Verband der Juristinnen hat mit dem der Frauenärztinnen eine gemeinsame Erklärung zur Abschaffung des Paragrafen abgegeben. Auch die SPD sprach sich nach dem Gießener Urteil für eine Streichung aus. Politiker von FDP, Grünen und Linken erhoben ebenfalls entsprechende Forderungen. Die CDU befürchtet hingegen mit der Abschaffung eine Verharmlosung von Abtreibungen. „Das Thema ist und bleibt ein emotionales“, sagt Hardt. * Name von der Redaktion geändert

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