Corona Wie die Kanzlerin die Corona-Krise einschätzt

Sie hat den Bürgern etwas zu erklären: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag in einer überraschend angekündigten Pre
Sie hat den Bürgern etwas zu erklären: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag in einer überraschend angekündigten Pressekonferenz.

Wenn sich die Kanzlerin außerplanmäßig und kurzfristig den Fragen der Hauptstadtjournalisten stellt, will sie dringende Botschaften loswerden – oder die Lage ist ernst. Am Donnerstag hat sich Angela Merkel in die Bundespressekonferenz gesetzt. Sie treibt offenbar die hochansteckende neue Virus-Variante um.

Was ist Merkels zentrales Anliegen?

Die Kanzlerin wollte darauf hinweisen, dass sich das Land in einer schwierigen Pandemielage befinde. Das Bild sei gespalten: Einerseits zeige der seit Mitte Dezember andauernde Lockdown Wirkung. Die Anzahl der Neuinfektionen gehe ebenso zurück wie die Belegung der Intensivbetten in den Krankenhäusern. „Das sind gute Nachrichten“, sagte die Kanzlerin.

Andererseits sei die Anzahl der Todesfälle „erschreckend hoch“. Das sei nicht einfach nur eine Zahl. „Das sind Menschen, die in Einsamkeit gestorben sind“, sagte sie. Zudem drohe eine Gefahr durch die Mutation des Virus, wie sie vor allem in Großbritannien und Irland, aber längst auch in Deutschland nachgewiesen worden sei. Wissenschaftliche Erkenntnisse deuteten darauf hin, dass die Mutation um ein Vielfaches ansteckender sei.

Deren Ausbreitung müsse so weit wie möglich verhindert werden. Daher sei der Lockdown verschärft und verlängert worden. Es gehe bei allen Maßnahmen um Vorsorge. „Wir handeln aus Vorsorge für die Gesundheit der Bürger und damit auch aus Vorsorge für Wirtschaft, Arbeitswelt, Bildung und Kultur“, so Merkel.

Werden die Grenzen geschlossen?

Um die Ausbreitung des Virus zu verhindert, bezeichnete Merkel Grenzschließungen als „Ultima Ratio“, also als letztmögliches Mittel. Der freie Warenverkehr stünde ohnehin nicht zur Diskussion. Mit den EU-Partnern wollte sie am Donnerstagabend über gleichgerichtete Ziele und Maßnahmen in ganz Europa sprechen, um vor allem die Ausbreitung des neuen Virentyps zu verhindern. Sie wolle auch über EU-weit gleichgerichtete Testregime für Pendler reden, die Grenzen überqueren müssten. Grenzschließungen könnten lediglich dann nicht mehr ausgeschlossen werden, wenn ein Land trotz hoher Fallzahlen wenig gegen die Ausbreitung Pandemie unternehme.

Gibt Merkel eine Impf-Garantie?

Nein. Die Bundesregierung will bis Ende Sommer/Anfang Herbst (ab 21. September) allen Bürgern ein Impfangebot machen. Allerdings, so Merkel, könne sie nicht für die Produktion von Impfstoffen garantieren. Der Anbieter Biontech/Pfizer, beispielsweise, produziert seinen Impfstoff bis zur Eröffnung des Werks in Marburg für ganz Europa ausschließlich im belgischen Puurs. Die Bundesregierung könne lediglich helfen, Produktionskapazitäten zu schaffen. Das habe sie für das Werk im hessischen Marburg getan, sagte die Kanzlerin.

Wann öffnen die Schulen wieder ?

Merkel will abwarten. Sollten sich aber die Infektionszahlen verringern, ist für sie klar, dass zuerst Kitas und Schulen wieder in den normalen Regelbetrieb wechseln. Das habe höchste Priorität. Allerdings müsse das vorsichtig abgewogen werden, da die Wirkung der Viren-Mutation noch nicht eindeutig absehbar sei. Merkel hatte in den jüngsten Beratungen mit den Ministerpräsidenten darauf gedrungen, Kitas und Schulen bis Mitte Februar noch geschlossen zu lassen. Einige Länder wollen davon abweichen und ab 1. Februar Wechselunterricht anbieten. Schmunzelnd fügte Merkel an, auch Friseure sollten bei einer Besserung der Lage wieder öffnen, „schon aus praktischen Gründen“. Gemeint sei aber der gesamte Einzelhandel.

Was ist mit Masken für Bedürftige?

Die Bundesregierung stellt seit Mitte Dezember 34 Millionen Menschen, die über 60 Jahre alt sind oder an gewissen Erkrankungen leiden, in drei Wellen insgesamt 15 Mund-Nasen-Bedeckungen zur Verfügung. Bei zwölf dieser Masken müssen die Bürger eine Eigenbeteiligung aufbringen. Was ist mit Bedürftigen, etwa Hartz-IV-Empfängern, oder mit Studenten? Merkel sagte dazu: Sollte sich herausstellen, dass die Infektionszahlen weiterhin hoch blieben und Maßnahmen wie das Maskentragen verlängert werden müssten, wolle die Bundesregierung darüber nachdenken, den Kreis der Anspruchsberechtigten zu erweitern.

Warum hakt es in den Gesundheitsämtern?

Nicht zufrieden äußerte sich Merkel über die personelle Ausstattung der Gesundheitsämter. Nicht überall sei im Sommer daran gearbeitet worden. Auch ein einheitliches, in allen Ländern installiertes Kontaktverfolgungssystem gebe es noch nicht, merkte die Kanzlerin kritisch an.

Merkel erwähnte Rheinland-Pfalz, wo die „Mikado“-Software nicht kompatibel mit der deutschlandweit favorisierten „Sormas“-Software ist. Dieses System soll bis Ende Februar in allen Gesundheitsämtern laufen. Die Behörden müssten in die Lage gebracht werden, die Infektionsketten nachverfolgen zu können. „Das liegt mir sehr am Herzen.“

Sind mit Joe Biden alle Probleme vom Tisch?

Es sei ihr bewusst, so Merkel, dass es mit dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden nicht plötzlich in allen Fragen der Zusammenarbeit Übereinstimmung geben werde, auch wenn die Basis dafür breiter sei als zuvor. Europa müsse nicht nur im militärischen Bereich mehr Eigenverantwortung übernehmen, davon ist die Kanzlerin überzeugt.

Was die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 angehe, werde sie Gespräche mit den USA führen. Sie will klären, ob die US-Regierung Vorbehalte lediglich gegen dieses spezielle Projekt hat oder ob sie grundsätzlich gegen den Gas-Handel mit Russland ist. Die gegen Nord Stream 2 verhängten US-Sanktionen kritisierte Merkel erneut als nicht akzeptabel. Die USA werfen Deutschland vor, Europa in eine zu starke Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu führen.

Tritt Merkel noch einmal an?

Vehement widersprach die Kanzlerin Spekulationen, sie werde auch nach der Bundestagswahl ein politisches Amt anstreben: „Ich trete nicht wieder an, weder als Kanzlerin noch als Bundestagabgeordnete.“ Dass sie möglicherweise doch noch als Kanzlerin die Silvesteransprache halten könnte, sei nur für den Fall vorgesehen, dass es bis dahin noch keine neue Regierung gebe. „Ich hoffe aber, die Regierungsbildung nach der Wahl im September geht superschnell über die Bühne.“ Es gelte jetzt, vernünftig „bis zum letzten Tag“ zu regieren. Politik sei so, „dass man morgens nicht weiß, wie es abends endet“, sagte Merkel mit Verweis auf unvorhergesehene Ereignisse wie die Finanz-, die Flüchtlings- oder die Corona-Krise. Dies mache den Reiz dieses Berufes aus, beschrieb Merkel ihr Verständnis der Kanzlerschaft. Entscheidend sei, dass man mit der Realität möglichst gut umgehe und klug die Lage analysiere. „Das ist meine Aufgabe, und das macht mir Freude.“ Sie bedauere das keinesfalls. Die Arbeit als Kanzlerin erfordere eine „angespannte Aufmerksamkeit“. Heute sei das nicht anders als zu Beginn ihrer Amtszeit.

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