Bundeswehr Vor dem Abzug aus Afghanistan: War der Einsatz sinnvoll?

Vor fast 20 Jahren: Eine Bundeswehreinheit fährt in einem Vorort der Hauptstadt Patrouille.
Vor fast 20 Jahren: Eine Bundeswehreinheit fährt in einem Vorort der Hauptstadt Patrouille.

Kein Einsatz hat die Bundeswehr so stark geprägt wie der in Afghanistan. Das Ende ist nun besiegelt. Für die Soldaten geht es jetzt noch darum, sicher nach zu Hause gekommen. Ob sich ihr Einsatz gelohnt hat, wird sich erst später herausstellen.

Sechs Monate. Darum ging es, als der Bundestag am 22. Dezember 2001 darüber abstimmte, ob die Bundeswehr sich an einer internationalen „Friedenstruppe“ in Afghanistan beteiligen solle. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) warb bei den Abgeordneten ausdrücklich mit dem kurzen Einsatzzeitraum um Zustimmung. „Ich denke, wir sollten jetzt keine abstrakten Diskussionen über die Frage führen, ob sechs Monate ausreichen oder nicht, sondern deutlich machen: Es handelt sich um ein von den Aufgaben her, vom Einsatzort her und von der Zeit her begrenztes Mandat.“

Es kam anders, ganz anders, als Schröder sich das damals ausmalte. Aus den sechs Monaten Einsatzdauer wurden fast zwei Jahrzehnte. Zum damaligen Einsatzort Kabul und Umgebung kam ein riesiges Gebiet im gebirgigen Norden Afghanistans hinzu. Und aus der Aufgabe Friedenssicherung wurde Krieg gegen die aufständischen Taliban. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wurden deutsche Soldaten wieder in stundenlange Gefechte verwickelt. Erstmals führten sie wieder offensive Operationen zur Bekämpfung eines Gegners. 59 deutsche Soldaten kamen in Afghanistan ums Leben, 35 davon in Gefechten oder bei Anschlägen.

20 Jahre nach den Terroranschlägen

Nun ist das Ende des verlustreichsten und teuersten Einsatzes der Bundeswehrgeschichte mit einem Nato-Beschluss besiegelt worden. Die Bundesregierung, die sich lange für die Koppelung des Abzugs an den Erfolg der laufenden Friedensverhandlungen eingesetzt hat, fügt sich dem Willen des amerikanischen Bündnispartners, der am 11. September 2021 aus Afghanistan raus sein will. Dieser Tag markiert den 20. Jahrestag der verheerenden Anschläge des Terrornetzwerks Al Qaida in den USA, bei denen mit entführten Flugzeugen in New York, Washington und Pennsylvania fast 3000 Menschen getötet wurden.

Der gemeinsame Abzug ist ohne Alternative, weil kein europäischer Bündnispartner willens und in der Lage wäre, die US-Kräfte zu ersetzen. Die Nato-Truppe zieht ab, bevor das Ziel erreicht ist. Von Frieden ist Afghanistan noch weit entfernt. Es ist ein unvollendeter Einsatz.

Brenzliger Aufbruch

Möglicherweise wird Deutschland als zweitgrößter Truppensteller seine Soldaten sogar noch früher nach Hause holen als die USA. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nannte in einer Unterrichtung der Außen- und Verteidigungspolitiker im Bundestag Mitte August als Zielmarke. 1100 Soldaten sollen bis dann aus dem nordafghanischen Masar-i-Scharif und der Hauptstadt Kabul nach Hause zurückkehren.

Der Abzug könnte noch einmal brenzlig werden für die Truppe. Der Chef des Bundeswehrverbands, André Wüstner, fordert den Einsatz zusätzlicher Spezialkräfte zum Schutz der Operation. Das wirklich schwere Gerät wie der Schützenpanzer „Marder“ oder die Panzerhaubitze 2000 sind bereits vor Jahren ausgeflogen worden – nach dem Ende des Kampfeinsatzes der Bundeswehr. Die Truppe konzentrierte sich zuletzt ja auf Schulungen.

Das geht an die Substanz

Ob sich der Afghanistan-Einsatz in irgendeiner Weise gelohnt hat, wird die Entwicklung der Friedensbemühungen in den kommenden Monaten und Jahren zeigen. Der frühere Generalinspekteur Harald Kujat sieht die Entwicklung sehr pessimistisch: „Die Taliban sind politisch stark und werden auch militärisch stärker. Innerhalb kürzester Zeit werden sie die Macht in Afghanistan übernehmen“, sagte er dem MDR.

Der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei, der die Bundeswehr in den vergangenen zwei Jahrzehnten 20 Mal in Afghanistan besucht hat, befürchtet einen „nachträglichen Sinnverlust“ für die Afghanistan-Rückkehrer, falls ein solches Szenario eintritt. Vor allem die Bundeswehrsoldaten, die verwundet worden seien oder die Kameraden verloren hätten, treibe die Sinnfrage um, sagt er. „Gerade für Soldaten, die nicht Söldner sein wollen, geht das an die Substanz.“

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