Politik Russland und die Nato üben den Krieg

Sind es nur 12.700 oder bis zu 100.000 Soldaten, die bis zum 20. September in Weißrussland, der Enklave Kaliningrad sowie im Westen Russlands am Manöver „Zapad“ (deutsch: „Westen“) beteiligt sind? Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg appellierte gestern an Moskau, „Spannungen abzubauen und Missverständnisse zu verhindern“.

Laut russischen Angaben nehmen 12.700 Soldaten, 70 Flugzeuge und Helikopter, 250 Panzer und zehn Kriegsschiffe an der Übung an der Ostflanke der Nato teil. Im Zentrum steht die 1. Panzerarmee Russlands, die über Jahrzehnte das militärische Rückgrat der sowjetischen Präsenz in der DDR darstellte. Sie wurde 1998 aufgelöst und 2014 wieder ins Leben gerufen. Mit begleitenden Manövern könnte die Anzahl der beteiligten Soldaten tatsächlich deutlich höher liegen. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat dies bereits vor einer Woche moniert. Das britische Militärexperten-Institut IHS Jane’s unterstreicht, neben Soldaten seien auch Geheimdienstmitarbeiter, Nationalgardisten und Rettungskräfte eingebunden. Für Argwohn in der Nato sorgt, dass die Zahl 12.700 Soldaten genau unterhalb der Schwelle von 13.000 liegt, die eine Beobachtermission der OSZE auslösen würde. Jedoch hat Weißrussland von sich aus einige Beobachter eingeladen. Auch haben sich der russische Generalstabschef Valeri Gerassimov und der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Petr Pavel, vorab über „Zapad“ ausgetauscht. Teil dieser Gespräche waren auch die von der Nato ihrerseits durchgeführten Übungen: Gleichzeitig findet in der Ukraine ein Militärmanöver unter Mitwirkung der US-Armee statt. Zudem üben fast 19.000 Soldaten in Schweden den Ernstfall. Es ist das größte Manöver im traditionell neutralen Schweden seit zwei Jahrzehnten. Streitkräfte aus dem ebenfalls neutralen Finnland sind dabei, aber auch Nato-Kräfte aus den USA, Dänemark, Norwegen, Estland, Litauen, Lettland und Frankreich. Noch bis zum 29. September ist fast die Hälfte aller schwedischen Streitkräfte in Bewegung. Unter anderem werden feindliche Angriffe auf Stockholm und Gotland simuliert. Das russische Verteidigungsministerium bekräftigte gestern, „Zapad“ sei „rein defensiver Natur“. Die baltischen Nato-Mitglieder und westliche Militärexperten befürchten jedoch, Russland könnte die Übung nutzen, um Truppen und Material entlang der Ostflanke der Nato dauerhaft aufzustocken. So kursiert die Information, 4162 Eisenbahnwaggons seien zum Truppentransport geordert worden, was bis zu 20.000 Soldaten bedeuten könnte. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nannte die Nato-Kritik an „Zapad“ gestern „hysterisch“. Sie komme einer Provokation gleich. „Die Nato will weder einen neuen Kalten Krieg noch einen neuen Rüstungswettlauf“, versicherte derweil Nato-Generalsekretär Stoltenberg. Die Beziehungen zwischen der Nato und Russland sind seit Jahren angespannt, besonders seit 2014, als Russland die zur Ukraine gehörige Halbinsel Krim annektierte. Das westliche Bündnis hat seither die Truppen im Osten Europas verstärkt. So sollen bis zu 450 deutsche Soldaten in Litauen stationiert werden. Die USA verlegen derzeit auch eine Kampfpanzerbrigade in den Westen Polens. Der polnische Sicherheitsexperte Marek Swierczynski sieht die Nato trotzdem unzureichend aufgestellt. Im Magazin „Polityka“ sagte er, wichtiger als „Zapad“ seien die 124 Manöver, die Russland seit 2015 mit einer Teilnehmerstärke von jeweils über 1500 Kräften durchgeführt habe. Im gleichen Zeitraum habe die Nato nur 38 Manöver in dieser Größenordnung abgehalten. Auch wären die russischen Truppen im Ernstfall schneller einsatzbereit. „Morgen ist Krieg“-Übungen habe Russland in diesem Jahr bereits fünfmal absolviert, die Nato kein einziges Mal.

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