Meinung Kanzlerkandidatur: Der heimliche Sieger heißt Wüst
Es ist eine späte Genugtuung für den Mann, der viele Jahre Anlauf nehmen musste auf seinem Weg an die Spitze. Der wirkte, als sei er politisch weg vom Fenster. Auf der anderen, der Wirtschaftsseite, angekommen. Abgestellt, kaltgestellt, ruhiggestellt. Der im Amt des CDU-Vorsitzenden selbstverschuldet, weil ziemlich plump gegen Ausländer polternd, zunächst auch Sympathien bei CDU-Freunden verlor, sie aber mit staatsmännischem Reden und Agieren zurückgewann. Die jetzige Entscheidung bringt Friedrich Merz als großen Sieger hervor. Es gibt aber noch einen klaren Gewinner, doch dazu gleich mehr.
Bleiben wir zunächst bei Friedrich Merz. Dessen Spitzenkandidatur ist nur möglich, weil seine Unterschiede zu Angela Merkel mittlerweile innerparteilich nicht mehr gegen, sondern für ihn sprechen. Heute finden es zunehmend viele in der CDU gut, wie er sich von der moderaten Politik der Bundeskanzlerin a. D. abgrenzt. Mit dem Sympathieverlust für die Altbundeskanzlerin ist für manch einen auch das Sympathisieren mit Merz legitim.
Populismus light
Die Union setzt mit dem Sauerländer auf die vermeintlich sichere Bank. Merz kann Populismus light, Abteilung „Attacke“ und Abteilung „Staatsmann“. Der unparteiische Beobachter mit Vorliebe für zumindest einigermaßen sauberen Politikstil kann sich freuen: Merz folgt zwar manchmal auch niederen Instinkten. Doch Deutschland bleibt mit ihm anstelle Markus Söders wenigstens die ganz große Populisten-Show erspart. Und: Mit Merz sind im demokratischen Spektrum noch alle Koalitionen möglich. Söder hatte in den vergangenen Wochen wirkmächtig und überdeutlich klargemacht, dass für ihn eine Koalition mit den Grünen nicht infrage käme. Auch das spricht aus Sicht vieler Unionler für den in dieser Angelegenheit geschmeidigeren Merz.
Für Markus Söder sind die Entwicklungen in dieser Woche ein herber Schlag. Ausgerechnet sein Freund Hendrik Wüst ist ihm in die Parade gefahren, hat als Königsmacher Friedrich Merz den Thron bereitet. Dabei hatte sich der bayerische Ministerpräsident lange Mühe gegeben beim Bezirzen seines NRW-Kollegen. Der durfte vor der vergangenen Bayern-Wahl sogar anstelle von Merz beim Wahlkampfabschluss Söders auftreten. NRW und Bayern, Wüst und Söder – da passt kein Blatt dazwischen, so der gewünschte Effekt.
Merz muss Söder im Zaum halten
Für Markus Söder war es die wohl letzte Chance auf eine Spitzenkandidatur im Bund. Standen ihm vor der Wahl 2021 sein Ego und insbesondere Strippenzieher wie Wolfgang Schäuble im Weg, waren es diesmal die machtpolitischen Überlegungen eines Hendrik Wüst und die bis dato weitestgehende Fehlerlosigkeit von Friedrich Merz.
Hendrik Wüst hatte nie eine realistische Chance. Dementsprechend schlau war es von ihm, mit seinem Votum für Merz genau das Gegenteilige zu insinuieren. Mit dieser ach so selbstlosen Art hat er sich alle Türen aufgemacht für die Zeit nach der nächsten Legislatur.
Für Friedrich Merz kommt es nun darauf an, weiterhin dem Staatsmann die Bühne zu überlassen und allzu viele Schlenker in Richtung hartem Populismus zu vermeiden. Und: Er muss Markus Söder im Zaum halten. Sonst wird der ihm gefährlicher als es Olaf Scholz oder Robert Habeck je sein könnten.