Flüchtlinge Gesellschaft ist gespalten in „Verteidiger“ und „Entdecker“

Die einen setzen sich für Flüchtlinge ein...
Die einen setzen sich für Flüchtlinge ein...

Forscher der Uni Münster: In Deutschland und anderen EU-Staaten bilden sich starre, zum Teil unversöhnliche Lager heraus

Die einen sind skeptisch gegenüber Fremden, die anderen offen für Menschen aus anderen Kulturen: In Deutschland haben sich wie auch in anderen europäischen Ländern zwei starre Lager mit extrem gegensätzlichen Haltungen gebildet. Zusammen machten sie rund ein Drittel der Bevölkerung aus. Das ist das Ergebnis einer Studie eines Forscherteams der Uni Münster.

Eine interdisziplinäre Wissenschaftlergruppe vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ hat sich mit einer Umfrage beschäftigt, die Ende 2020 stattfand und an der sich rund 5000 Menschen aus Deutschland, Frankreich, Polen und Schweden beteiligten, den Forschern zufolge die bisher umfassendste Umfrage zu Identitätskonflikten in Europa.

Die einen fühlen sich durch Fremde bedroht

„Bei den entgegengesetzten Positionen sind vor allem unterschiedliche Identitätskonzepte entscheidend“, erläutert der Psychologe Mitja Back. Die „Verteidiger“ definiert das Forscherteam als jene Personen, die ein enges Konzept der nationalen Zugehörigkeit befürworten. Aus ihrer Sicht gehören zum eigenen Land zum Beispiel nur, wer dort geboren wurde, Vorfahren der ethnisch-nationalen Mehrheit hat und Teil der dominanten Religion ist. Durch Fremde fühlen sie sich bedroht. „Entdecker“ hingegen verfolgen ein offeneres Konzept von Zugehörigkeit, wie es heißt. Vielfalt und verschiedene Lebenskonzepte verstehen sie als Chance.

In Polen kommen die beiden Gruppen auf 72 Prozent

In Deutschland machten beide Gruppen zusammen rund ein Drittel der Bevölkerung aus. In einem „semi-autoritär geführten Land wie Polen“ lägen die zwei Gruppen zusammen bei 72 Prozent. Darin sehen die Wissenschaftler einen Beleg, dass sich polarisierte Meinungen zu Mehrheiten entwickeln können.

„Interessant ist, dass diese Konzepte aufs engste verbunden sind mit der unterschiedlichen Wahrnehmung der politisch-gesellschaftlichen Repräsentation“, führt der Psychologe aus. „Verteidiger“ seien unzufriedener mit der Demokratie, fühlten sich marginalisiert und misstrauten politischen Institutionen. Sie neigten zu Verschwörungstheorien; ihre demokratischen Vorstellungen könnten durchaus als anti-pluralistisch bezeichnet werden. Auch in kultureller, religiöser, psychologischer und sozialer Hinsicht unterscheiden sich beide Gruppen, wie die Umfrage zeigt. Es ergeben sich laut Back gewisse Muster: „Verteidiger“ sind älter und weniger gebildet, sie wohnen ländlicher, sind heimatverbundener und religiöser. Bei den „Entdeckern“ verhalte es sich genau umgekehrt.

Stabilität und Sicherheit statt Offenheit und Veränderung

Dahinter steckten verschiedene psychologische Grundbedürfnisse: Für die erste Gruppe stünden Stabilität und Sicherheit im Fokus, die zweite Gruppe setze auf Offenheit und Veränderung. „Die Unterschiede sind in der Sozialisierung begründet, aber es sind eben auch Persönlichkeitsunterschiede, die Menschen nun mal haben“, so Back. Diese Differenzen werde es immer in einer Gesellschaft geben, „und das ist per se auch nicht problematisch“. Denn für eine Gesellschaft sei beides wertvoll und wichtig: soziale Strukturen zu sichern und neue Strukturen aufzubauen.

„Aggressive Fremdenfeinde“ oder „naive Missionare“

Weil der Identitätskonflikt in psychologischen Grundbedürfnissen begründet ist, sei er – im Gegensatz zu eher materiell basierten Konflikten – schwerer verhandelbar, sagt der Psychologe. Positionen hätten sich verhärtet; das reiche bis zur Abwertung der je anderen Gruppe. „Aus sicherheitsorientierten Menschen werden in der Fremdwahrnehmung aggressive Fremdenfeinde und aus offenen Menschen weltfremde Missionare.“

Back sieht Gründe für die Verstärkung des Identitätskonfliktes vor allem in einer starken Globalisierungsentwicklung und Krisen wie der Pandemie, der Klima- und Finanzkrise sowie hohen Fluchtbewegungen. Mit solchen Entwicklungen könnten besser Personen umgehen, die an sich offen für Veränderungen seien.

... die anderen empfinden Zuwanderung als Bedrohung.
... die anderen empfinden Zuwanderung als Bedrohung.
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