Politik Der Stoff, aus dem die Aufreger sind

Heute will Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ein überarbeitetes Konzept für die Zivilverteidigung vorlegen. Er muss dabei gegen eine Fehlinformation ankämpfen.

Die ganze Dramatik entlädt sich in diesem einen Satz: „Zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Kriegs 1989 will die Bundesregierung die Bevölkerung einem Bericht zufolge wieder zum Anlegen von Vorräten für den Krisenfall animieren.“ Der Lesefluss stockt: Ist es wieder soweit? Kalter Krieg, atomare Bedrohung, Giftgaslager, Bunker … weiß die Bundesregierung mehr als sie öffentlich erklärt? Die Meldung verbreitet die Nachrichtenagentur Agence France Presse (afp) am Sonntag um 9.12 Uhr. Als Quelle wird die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ genannt. Ähnliches verbreitet die Agentur Reuters. Rasch streuen Rundfunksender die dramatische Nachricht unter ihre Hörer. Am Abend ist sie Thema in der Tagesschau. Am Montag berichten Zeitungen, auch die RHEINPFALZ. Am Dienstag wiederholt ein schwäbisches Blatt die Meldung so zwar nicht mehr, will in einem vertraulichen Papier aber Ungeheuerliches zur veränderten Sicherheitslage gelesen haben: „Die Bundesregierung will die Bevölkerung erstmals seit dem Ende des Kalten Kriegs wieder auf kriegerische Handlungen innerhalb der deutschen Grenzen vorbereiten.“ Das ist der Stoff, aus dem die Aufreger sind. Das Netz brummt. Manche, wie Zeus Logo, ätzen: „Die Politiker haben unsre Heimat zum gefährdeten Land gemacht und sie wissen es!“ Oder Jeany555: „Wer sind diese Strippenzieher in Berlin, die die Deutschen in den Wahnsinn treiben?“ Andere, wie der Entertainer Harald Schmidt, machen sich lustig: „Fressnapf gehen die Hamster aus, weil viele RTL-Zuschauer den Rat der Bundesregierung nicht verstanden haben.“ Da ist was dran. Allerdings haben nicht nur RTL-Zuschauer wenig verstanden, sondern auch einige Journalisten und Politiker. Denn die Meldung ist falsch. Die Bundesregierung rät nicht „zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Kriegs 1989“, Vorräte für Krisenzeiten anzulegen. Das ist seit Jahren gängige Praxis. Ein Blick in alte Notfallpläne lässt die ganze Dramatik der Meldung in sich zusammenfallen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ruft seit Jahren schon dazu auf. Im alten und öffentlich zugänglichen „Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen“ heißt es beispielsweise: „Mit einem Vorrat an Lebensmitteln und Getränken für zwei Wochen sind Sie hierfür (den Katastrophenfall, die Redaktion) gerüstet.“ Ein konkreter Tipp in der Broschüre: „Halten Sie pro Person zirka 14 Liter Flüssigkeit je Woche vorrätig.“ Ähnliche Ratschläge für Krisenzeiten gibt ein vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft betriebenes Portal (www.ernaehrungsvorsorge.de): „Es ist äußerst ratsam, stets einen Nahrungsmittelvorrat für einen Zeitraum von 14 Tagen im Haus zu haben. So stehen Sie und Ihre Familie in einem Notfall nicht mit leerem Magen da.“ Mit einem Vorratskalkulator lässt sich sogar der persönliche Bedarf oder der der Familie für 28 Tage berechnen. Eine Vorratstabelle gibt Auskunft über den Nährwert von Lebensmitteln: In 1000 Gramm Vollkornbrot stecken 1980 Kilokalorien, heißt es da. Wolfgang Kast ist Teamleiter für gesundheitlichen Bevölkerungsschutz und Rettungswesen beim Deutschen Roten Kreuz in Berlin und ideologischer Umtriebe gänzlich unverdächtig. Er antwortet auf die Frage „Panikmache oder Notwendigkeit?“ in der ARD: „Ich wundere mich vor allem über die derzeitige Debatte in der Öffentlichkeit. Der Sachverhalt ist seit Jahren bekannt. So stellt zum Beispiel das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe online einen Ratgeber zu Verfügung, der empfiehlt, einen Vorrat von Lebensmitteln und Getränken für zwei Wochen anzulegen. Jetzt ist die Rede von zehn Tagen, und die Aufregung ist groß.“ Nicht nur die Aufregung ist groß. Verschiedene Parteien versuchen aus ihr Honig zu saugen. Aus Unwissen oder wider besseres Wissen? Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, schimpft: „Man kann die Menschen mit immer neuen Vorschlägen, so auch zu Hamsterkäufen, völlig verunsichern.“ Was an den Vorschlägen neu ist, sagt er nicht. Der Grüne Konstantin von Notz grantelt: „Ich sehe kein Angriffsszenario, für das sich die Bevölkerung Vorräte anlegen sollte.“ Ein Angriffsszenario sieht die AfD auch nicht. Aber laut einer Mitteilung orakelt Vorstandsmitglied Georg Pazderski düster: „Was die Bundesregierung nie zugeben wird, ist die Tatsache, dass das neue Zivilschutzkonzept eine Reaktion auf die massive Einwanderungswelle ist und dass man augenscheinlich von inneren Unruhen in naher Zukunft in Deutschland ausgeht.“ Eine Falschmeldung hat Karriere – und Politik gemacht. Übrigens auch auf Kosten der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS). Denn die soll laut den Nachrichtenagenturen afp und Reuters Quelle der Fehlinformation sein. Ist sie aber nicht. Denn sie hat in ihrem Text lediglich festgestellt: „Die Bevölkerung wird angehalten, einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln für einen Zeitraum von zehn Tagen vorzuhalten.“ Kein Wort von „Zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Kriegs 1989 ...“

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