Politik Der Neu-Kommunarde Schäuble

Der Mann hat Kanten. Und er ist trotz seines vergleichsweise jungen Alters von 36 Jahren schon Politikprofi genug, diese Kanten bewusst einzusetzen. Politiker tun das gelegentlich, um anzuecken. Das beschert ihnen das rare Gut Aufmerksamkeit. Die brauchen die Volksvertreter, keine Kritik also am Kanteneinsatz. Ich schreibe über Jens Spahn. Der Mann vertritt den westfälischen Wahlkreis Steinfurt-Borken im Deutschen Bundestag. Er ist CDU-Mitglied, gelernter Bankkaufmann und mimt gerne den eher Konservativen. Insofern passt er in das Bundesfinanzministerium. Das wird bekanntlich von Parteifreund und Bruder im konservativen Geiste Wolfgang Schäuble geführt. Im Kassenamt ist Spahn Parlamentarischer Staatssekretär. Früher sind diese Ämter mit der Führungsreserve einer Partei bestückt worden. Aber früher war ohnehin alles anders und schlechter. Spahn also. Der hat dieser Tage mit einer neuen politischen Relativitätstheorie auf sich aufmerksam gemacht. Auf eine Frage der Zeitung „Neue Westfälische“ hat er geantwortet: „Was heißt denn konservativ? Wenn es heißt, dass ich für Werte eintrete, dann bin ich gern konservativ. Sich für die Rechte von Frauen, Homosexuellen oder anderen Minderheiten stark zu machen, gilt heute als konservativ. Früher war das mal links.“ Da schau her, das ist interessant! Was früher links war, gilt heute als konservativ. Was galt denn früher noch so alles als links? Für Che Guevara schwärmen, mit „Ho, Ho, Ho Chi Minh!“-Rufen durch Berlins Straßen toben, in der Kommune 1 hausen (und mehr), kiffen. Spahns Lehrsatz zu Ende gedacht, ist das nun alles konservativ. Konkret und auf die Neuzeit gewendet, muss man sich konservativ heute also so vorstellen: Spahns Chef Wolfgang Schäuble schwärmt im anstehenden Wahlkampf von Oskar Lafontaine, tobt mit „Li, Li, Linkspartei“-Rufen durch die Straßen Berlins, lebt in einer basisdemokratisch organisierten Alten-WG, kifft. Und bedenkt der geneigte Spahn-Jünger auch das Mantra des konservativen Säulenheiligen Franz Josef Strauß, wonach der Konservative an der Spitze des Fortschritts marschiert, ist Schäuble so gesehen als Kiffer, Lafontaine-Fan, Linkspartei-Werber und Alten-WG-Kommunarde die Spitze des Fortschritts. Die Welt ist unübersichtlich geworden …

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