Interview Abt Nikodemus: „Alles war totenstill in Jerusalem, viel stiller als sonst“

Abt Nikodemus.
Abt Nikodemus.

Abt Nikodemus von Jerusalem lebt seit 20 Jahren in Israel. Den Angriff des Iran hat er mit Brüdern in der Abtei erlebt. Was er nachts auf dem Dach des Klosters beobachtet hat.

Pater Nikodemus, es ist Sonntag, 17 Uhr deutscher Zeit. Jerusalem ist uns eine Stunde voraus. Wo in der Heiligen Stadt erreiche ich Sie gerade?
Sie erreichen mich in meiner Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg.

Es ist keine 24 Stunden her, dass Iran Drohnen und Raketen auf Israel gefeuert hat. Wie geht es Ihnen?
Es geht uns den Umständen entsprechend gut. Meine Brüder und ich haben eine schlaflose Nacht hinter uns, haben den Sonntag aber gefeiert und miteinander gegessen. Ich habe sowohl in der Nacht und auch heute gebetet. Und mein Glaube hat mir Kraft gegeben.

Wie haben Sie die Nacht verbracht?
Ich bin in der Dormitio geblieben und habe mich um unsere Gäste im Gästehaus gekümmert. Wir haben hier Schutzräume. Nach dem Beschuss bin hoch auf das Dach gestiegen. Von dort aus können wir bis nach Amman in Jordanien schauen. Es war alles totenstill. Viel stiller als sonst.

Weltweit werten viele Experten den Angriff des Iran als Zäsur. Sind Sie heute Morgen in einem anderen Israel aufgewacht?
Nein – zumal der Angriff nicht überraschend kam. Israel befindet sich seit dem 7. Oktober im Krieg. Der bestimmt die Nachrichten. Allen ist klar, dass es um Leben und Tod geht – die Geiseln müssen endlich den Fängen der Hamas entkommen. Die gestrige Nacht hat immerhin gezeigt, dass die Verbündeten an der Seite Israels stehen.

Viele hoffen wie ich, dass nun endlich die Stunde der Diplomatie schlägt. Oberste Priorität hat die Heimkehr der Geiseln, nicht ihre Befreiung. Letztes steht nämlich für eine militärische Lösung. Wie die Angehörigen der Geiseln setze ich aber auf eine Verhandlungslösung.

So makaber das klingen mag: Für die Menschen in Israel sind Raketenangriffe fester Bestandteil des Alltags. Wie ist die Situation heute, nach dieser Nacht?
Auch wenn sich das in Deutschland vielleicht niemand vorstellen kann: Es ist schnell wieder Normalität eingekehrt. Das Leben ist reduzierter, Schulen sind geschlossen. Aber sonst geht alles seinen gewohnten Gang.

Was gibt Ihnen und den Menschen in Jerusalem denn Zuversicht?
Mir machen die Menschen Hoffnung, die an ein friedliches Zusammenleben glauben. Es geht darum, wer sich durchsetzt: die Radikalen, die Israel das Existenzrecht absprechen, beziehungsweise den Palästinensern keinen eigenen Staat zubilligen, oder die Moderaten, die zu dem Existenzrecht Israels und zu einer Zweistaatenlösung stehen. Ich setze auf die Moderaten, weil sie sich für eine Lösung einsetzen, bei der es nur Gewinner geben würde.

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