Kusel So erging es den Glantal-Familien, die nach Brasilien ausgewandert sind
Mitglieder dieser Familien aus Dörfern im Glantal sind vor rund 200 Jahren ausgewandert. Die heimischen Missstände führten dazu, dass sie mit Sack und Pack dem Werben aus Brasilien um Einwanderer in unbewohnte Gebiete folgten. Dieser weithin vergessenen Pfälzer Auswanderung ist das Doppelheft 2/3, die aktuelle Ausgabe der „Westricher Heimatblätter“, gewidmet.
Schon der Titel des Heftes macht neugierig, zeigt das Foto doch ein Denkmal mit der Aufschrift „Den Vätern zum Gedächtnis 1824-1924“. Es wurde vor 100 Jahren im südbrasilianischen São Leopoldo errichtet – an jenem Ort, an dem am 24. Juli 1824 die erste Gruppe deutscher Auswanderer gelandet war. An dieses Datum erinnert auch die Ausstellung „Neuland – 200 Jahre deutsche Auswanderung nach Brasilien“, die bis Jahresende im Stadtmuseum Kaiserslautern und im Hunsrück-Museum in Simmern zu sehen ist.
Überlieferte Briefe von Auswanderern
Autoren aus der Pfalz, aber auch in Brasilien beheimatete Nachkommen von Auswanderern, beleuchten in einer Vielzahl von Beiträgen die historischen, sozial-ökonomischen und sprachwissenschaftlichen Aspekte dieser Migration und erzählen erstaunliche Familiengeschichten. Für eine Einordnung der Brasilien-Auswanderung sorgt Regionalhistoriker Jan Fickert. In seinem Beitrag für die Heimatblätter zeigt er den Forschungsstand auf und verweist auf intensivierte Kontakte zu Nachkommen der Auswanderer, an denen vor allem der verstorbene Regionalhistoriker Roland Paul und Friedrich F. Hüttenberger aus Kaiserslautern mitwirkten.
Nach Dörfern geordnet listet Fickert die Auswanderungsanträge für Brasilien auf, die für die Zeit 1822 und 1895 archiviert sind. Eine weitere Liste führt die 37 Familien auf, die im November 1827 illegal ausgewandert sind. Auch beleuchtet er die kargen Bedingungen der Passage sowie geografische, klimatische und soziale Gegebenheiten, die sie in der „Neuen Welt“ antrafen. Aufschlussreich dafür sind überlieferte Briefe von Auswanderern. Schließlich stellt Fickert die Provinzen Rio Grande do Sul und São Paulo vor, in denen die Auswanderer siedelten und Kolonien errichteten.
Bitte ans Landkommissariat Kusel
Zu den Pionieren der pfälzischen Migranten in Richtung Brasilien gehört die Familie Reinheimer aus Altenglan, wie der Beitrag von Grace Lidiane Reinheimer dokumentiert. „Ich habe schon lange eingesehen, dass ich mich mit meinen 4 Kindern in hiesiger Gegend nicht mehr ernähren kann, sondern bin denen immer ungünstiger werdenden Zeiten am Ende noch dem Bettelstab unterworfen, und müsste denselben ergreifen. Deßwegen habe ich mich entschlossen mit meiner Frau und unsern 4 Kinder nach Amerika in Brasilien auszuwandern ...“ So formuliert Peter Reinheimer aus Altenglan am in seinem „unterthänigsten Gesuch“ an das Landkommissariat Kusel, in dem er um einen Reisepass bittet sowie um die behördliche Genehmigung, auswandern zu dürfen.
In einem profunden Beitrag geht Hüttenberger der Frage nach, wie es den illegal ausgewanderten Westrichern – zumeist Ackerer oder Handwerker von Beruf – in Südbrasilien erging. In der Kolonie Santo Amaro kultivierten die Siedler vor allem Kartoffeln und Knoblauch. Andere errichteten Sägewerke, verarbeiteten Holz aus dem Tropenwald, stellten Holzkohle her oder betrieben Mühlen und Ziegeleien. Bescheinigt wird den Kolonisten eine hohe Produktivität, die über den Erträgen der Einheimischen liege.
Drama nach Schiffbruch mit „Helena und Maria“
Hüttenberger skizziert auch das Drama, das Pfälzer Auswanderern im Januar 1828 widerfuhr, nachdem sie mit ihrem Segelschiff „Helena und Maria“ im Ärmelkanal Schiffbruch erlitten hatten. Die Passagiere, darunter die Kinder der Familie Friedrich Theobald aus Ulmet, strandeten mittellos im englischen Falmouth. Recherchen des Autors zufolge sind in den folgenden Wochen 28 Kinder von schiffbrüchigen Auswandererfamilien in England verstorben. Erst ein Jahr später kamen die Auswanderer mit dem Schiff „James Laing“ in Rio de Janeiro an. Manche Schilderungen erinnern mitunter an Schleuser-Praktiken – fehlende Pässe, Kaution –, wie sie bei der aktuellen Migration bekannt sind.
Das mit historischen Fotos und Karten reich illustrierte Doppelheft enthält überdies Familienporträts der Auswandererfamilien Cassel (Rathsweiler), Sander (Bedesbach) Bohnenberger (Niederalben) und Lanzer (Relsberg). Auch über die Verbreitung von Pfälzer Mundart und hunsrückischem Dialekt, transatlantische Städtepartnerschaften sowie über Brauchtum und Traditionen der Deutschbrasilianer ist Interessantes zu erfahren. Die „Westricher Heimatblätter“ erscheinen vierteljährlich. Das aktuelle Doppelheft kann für sieben Euro plus Versandkosten über die Kreisverwaltung Kusel bezogen oder im Bürgerbüro der Kreisverwaltung, im Tourismusbüro am Bahnhof und im Auswanderer-Museum Oberalben erworben werden.