Politik Tage der offenen Tür in Plötzensee

Aus der Justizvollzugsanstalt Plötzensee in Berlin sind seit vorigen Donnerstag neun Häftlinge entwichen: vier aus dem geschlossenen und fünf aus dem offenen Vollzug. Nach drei der Getürmten wurde gestern noch gefahndet. Eine ungemütliche Situation für Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Er muss sich Rücktrittsforderungen erwehren.

Den Jahresanfang hat sich Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) gewiss anders vorgestellt. Während er gestern versuchte, optimistische Botschaften wie die „andauernd positive Beschäftigungsentwicklung“ mit der perspektivischen Chance auf Vollbeschäftigung unter die Leute zu bringen, sorgte in und auch außerhalb Berlins ein anderes Thema für Irritationen: Binnen einer Woche verschwanden neun Männer aus der JVA Plötzensee. Wieder einmal scheint sich die Hauptstadt als Spottobjekt anzubieten. Von „Tagen der offenen Tür“ und vom „Reisebüro Behrendt“ – benannt nach dem Justizsenator – ist die Rede. Müller war jedenfalls bedient und ließ dem Kollegen Justizsenator knapp ausrichten, man erwarte seinen Bericht. Die Opposition ging nach der aufsehenerregenden Ausbruchsserie erwartungsgemäß weiter. CDU und FDP forderten umgehend den Rücktritt Behrendts, den der innenpolitische Sprecher der Union, Burkhard Dregger, als einen „justizpolitischen Dilettanten“ bezeichnete. Nun sind in den vergangenen Jahren schon öfter Häftlinge aus Berliner Gefängnissen geflohen; zuletzt leitete ein CDU-Politiker das Justizressort, davor war es ein SPD-Mann. Am lautesten rief der damalige rechtspolitische Sprecher der Grünen, ein gewisser Dirk Behrendt, nach jedem Gefängnisausbruch nach Rücktritt des jeweils Verantwortlichen. Keiner der Justizsenatoren trat deshalb zurück. „Ich wüsste nicht, was das helfen würde“, sagt auch Thomas Golny, der Landesvorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten. Nach seinen Angaben fehlt es in Berlin nicht nur an modernster Sicherheitstechnik, sondern auch an Personal. 200 Bedienstete mehr seien nötig, sagt Golny. Den Sanierungsbedarf beziffert er sogar auf 500 Millionen Euro. Viele Jahre führte der eiserne Sparkurs der Stadtregierungen dazu, dass kaum ein Cent in die Modernisierung der Haftanstalten floss. Die JVA Plötzensee, in der keine Schwerkriminellen einsitzen, gilt als besonders marode. Die einst berüchtigte Anstalt befindet sich teilweise auf dem Gelände des Preußischen Staatsgefängnisses, 1879 angelegt und später in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft auch als zentrale Hinrichtungsstätte für vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilte politische Gefangene genutzt. Kein Wunder, dass den Häftlingen Flex und Hammer genügten, um sich durch die Außenwand des „Rumpelgefängnisses“ (so der „Tagesspiegel“) zu arbeiten. Immerhin haben sich drei der geflohenen Häftlinge inzwischen wieder gestellt, zwei davon gestern Abend. Die Gefangenen wiederum, die aus dem offenen Vollzug entkamen, indem sie die Gitterstäbe aus einem Fenster rissen, dürften nicht zu den hellsten Zeitgenossen gehören. Diese sogenannten Ersatzstrafler, die wegen wiederholten Schwarzfahrens oder Ladendiebstahls verhängte Geldstrafen nicht bezahlen konnten und deshalb für ein paar Monate ins Gefängnis mussten, dürfen die JVA ohnehin tagsüber verlassen und müssen nur zum Übernachten wieder ins Gefängnis zurückkehren. „Sie hätten also nur bis zum nächsten Morgen warten müssen, um dann durch die Tür zu spazieren“, sagte der Sprecher des Justizsenats – was dann auch drei Häftlinge taten. Einer von ihnen wurde gestern festgenommen. Derartige „Entweichungen“ aus dem offenen Vollzug würden immer wieder vorkommen; 2017 waren es nach Senatsangaben 42 Fälle. Die meisten seien inzwischen wieder zurück, sagte gestern der Leiter der JVA, Uwe Meyer-Odewald. Gleichwohl dürfte dieser Hinweis kaum ausreichen, um die Ausbruchserie zu relativieren. Der selbst in der Koalition aus SPD, Linken und Grünen nicht übermäßig geschätzte Justizsenator hat jetzt eine Kommission eingesetzt, „um Schwachstellen zu analysieren und zu beseitigen“. Gestern führte er selbst Journalisten durch den offenen Vollzug, um den Eindruck zu widerlegen, wegen zu laxer Aufsicht könne hier jeder „rein- und rausgehen, wie er lustig ist“. So sei es nicht, betonte Behrendt, kündigte indes an, der Bereich für den offenen Vollzug werde nun stärker bewacht. Einige Insassen habe man zudem noch einmal überprüft und daraufhin in den geschlossenen Vollzug verlegt. Während Berlins Gefängnisse überwiegend alt und verwinkelt sind, hat das benachbarte Brandenburg viele Millionen in die Hände genommen, um seine Anstalten mit modernster Sicherheitstechnik auszustatten und zeitgemäß umzubauen. Der Erfolg dieser Investitionen lässt sich an der Statistik ablesen: In diesem Jahrtausend gab es noch keinen Ausbruch, der letzte datiert auf 1999.

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