Interview SPD-Fraktionschef Mützenich über Putin: „Er ist ein Menschenschlächter“

Rolf Mützenich: „Leider haben wir es als Koalition nicht geschafft, zu weniger Spannungen beizutragen.“
Rolf Mützenich: »Leider haben wir es als Koalition nicht geschafft, zu weniger Spannungen beizutragen.«

Als Fraktionschef der SPD wird Rolf Mützenich großer Einfluss auf den Bundeskanzler nachgesagt. Im Interview erzählt er, warum er seinen Ruf als Verhinderer von Waffenhilfe für die Ukraine unfair findet.

Herr Mützenich, hört Olaf Scholz eigentlich auf Sie?
Wir tauschen uns regelmäßig und intensiv aus. Olaf Scholz hört gut zu. Er hört vielen gut zu und bildet sich dann ein eigenes Urteil. Der Bundeskanzler weiß, dass nicht nur die SPD-Fraktion ihn braucht, sondern er auch die SPD-Fraktion. Wir haben ein belastbares und vertrauensvolles Verhältnis.

Wir fragen deswegen, weil Sie in der Ampel-Regierung als der Verhinderer von Waffenhilfe für die Ukraine gelten. Und weil wir herausfinden möchten, ob Sie dafür verantwortlich sind, dass Olaf Scholz keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern will.
Das ist ein Klischee, das mir anhaftet. Deutschland hilft der Ukraine: Wir liefern Waffen, unterstützen bei der humanitären Hilfe, beim wirtschaftlichen Wiederaufbau, stemmen die finanziellen Folgen für die Flüchtlinge, die zu uns kommen. Alles das ist durch die SPD-Fraktion und damit auch durch mich mitentschieden und auf den Weg gebracht worden. Völlig klar ist: Die Ukraine hat auf Grund der Charta der Vereinten Nationen ein Selbstverteidigungsrecht. Olaf Scholz hat von Anfang an unmissverständlich gesagt, dass wir die Ukraine dabei unterstützen. Aber auch, dass Deutschland niemals aktiv in diesen Konflikt verwickelt werden darf. Nichts anderes sage auch ich.

Warum darf Deutschland nicht in diesen Krieg verwickelt werden? Weil Sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht verärgern wollen?
Nein. Weil der Bundeskanzler einen Amtseid geleistet hat, in dem er verspricht, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Ein Krieg der Nato mit Russland könnte einen dritten Weltkrieg auslösen. Leider wird in Deutschland derzeit mehr darüber diskutiert, wie man Kriege führt, anstatt darüber, wie man einen Beitrag dazu leisten kann, Kriege zu beenden.

Dann lassen Sie uns darüber reden, wie man Kriege beenden kann. Befürworter von Waffenlieferungen argumentieren oft damit, der Ukraine beispielsweise mit Taurus-Marschflugkörpern eine bessere Ausgangslage für Verhandlungen verschaffen zu wollen. Was ist daran so abwegig?
Nichts daran ist abwegig, wenn man es in politische Entscheidungen einbettet und bestimmte Dinge nicht für absolut erklärt. Die Ukraine muss sich wehren gegen einen Überfall, der nicht nur das Völkerrecht verletzt, sondern eklatant auch das, was wir als internationale Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges aufbauen wollten. Aber es ist ein Irrglaube, dass ein bestimmtes Waffensystem über die Wehrhaftigkeit der Ukraine oder gar den Kriegsverlauf entscheidet. Zur Sicherheit der Ukraine und Europas beigetragen hat beispielsweise auch die Reise des Bundeskanzlers nach Peking im November 2022, als sich Chinas Präsident Xi Jinping gegen den Einsatz von Atomwaffen in diesem Konflikt ausgesprochen hat. Das war ein ganz wichtiges Signal.

Immer vorausgesetzt, dass man Xi Jingping vertrauen kann. Bei Putin ist das nicht der Fall: Kurz vor Beginn des Ukraine-Kriegs hat er den Bundeskanzler noch belogen und gesagt, dass er nicht vorhabe, die Ukraine anzugreifen.
In der Tat. Diese Lüge belastet alles, ebenso die ständigen Lügen, die danach gefolgt sind. Dennoch müssen wir uns damit abfinden, dass Putin derzeit der starke Mann in Moskau ist, der mit darüber entscheidet, ob es irgendwann auch mal wieder zu Verhandlungen kommen kann.

Derlei Verhandlungen würden – realistisch betrachtet – bedeuten, dass die Ukraine Gebiete an Russland abtreten muss. Also an einen Mafia-Staat, der Menschenrechte mit Füßen tritt und politische Gegner ermorden lässt. Wie soll man das gegenüber der betroffenen Bevölkerung in der Ukraine moralisch legitimieren?
Das kann man gar nicht. Deswegen werden wir niemals die Annexion von Gebieten – auch nicht der Krim – anerkennen.

Aber wie kann dieser Krieg dann beendet werden?
Zurzeit sehe ich das nicht. Aber wir dürfen uns auch nicht dem Vorwurf aussetzen, eine Chance auszulassen, die vielleicht einen Waffenstillstand vorbereiten könnte, oder gar unvorbereitet zu sein, wenn sich einmal das Fenster zur Diplomatie öffnet.

Halten Sie es für möglich, dass Putin Deutschland oder ein anderes Nato-Land angreift?
Man darf in der internationalen Politik nichts ausschließen, gerade in solch spannungsreichen und verstörenden Zeiten. Dennoch teile ich nicht die These, dass Putin verrückt geworden ist. Aber er ist jemand, der insbesondere wenn die Existenz Russlands aus seiner Sicht infrage stehen sollte, ernst machen wird.

Wäre die Welt besser ohne Putin?
Es wäre eine Welt mit mehr Verlässlichkeit, mit mehr Demokratie, mehr Empathie und mehr Akzeptanz von Werten und Regeln. Putin ist ein Menschenschlächter, und ich würde mich wirklich freuen, wenn er sich in naher Zukunft vor einem internationalen Strafgericht für seine Verbrechen verantworten müsste. Aber leider ist Putin derzeit nicht der einzige auf der Welt mit diesen charakterlichen Eigenschaften.

Bei Ihren Koalitionspartnern Grüne und FDP kommt Ihre Skepsis gegenüber Waffenlieferungen nicht gut an. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat in Sachen Taurus-Lieferung für einen Oppositionsantrag gestimmt.
Es ist sehr bedauerlich, dass Frau Strack-Zimmermann sowohl in ihrem Auftreten als auch in ihrer Wortwahl nicht das wiedergibt, was in den Regierungsfraktionen vereinbart und letztlich auch entschieden wird. Dass Frau Strack-Zimmermann zudem auch mit Unterstellungen arbeitet, belastet das Regierungshandeln. Mein Arbeitsverständnis ist, dass ich dem Bundeskanzler den notwendigen Raum für seine Entscheidungen schaffe, und ich fürchte, einige wenige in der Koalition haben genau die gegenteilige Auffassung. Aber ich hadere nicht damit. Wichtige Entscheidungen werden noch immer nicht in Talkshows getroffen, sondern im Bundessicherheitsrat.

Viele Politiker reden am liebsten über sich selbst. Sie reden häufig darüber, wie Sie den Kanzler unterstützen können? Wie wichtig ist Ihnen Loyalität?
Ich würde niemals einen sozialdemokratischen Kanzler in seinem Amt gefährden. Das bedeutet aber nicht bedingungslose Loyalität, sondern ein Vertrauen, das auf gegenseitigem Respekt beruht.

Vermissen Sie diese Loyalität bei FDP und Grünen?
Bei einzelnen Personen: Ja.

Wünschen Sie sich deswegen manchmal – ganz heimlich –, mit Sahra Wagenknecht an einem Tisch zu sitzen, anstatt mit Anton Hofreiter von den Grünen und Frau Strack-Zimmermann von der FDP?
Nein, überhaupt nicht. Die Ampel-Koalition hat bereits über die Hälfte der Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt. Darauf bin ich sehr stolz. Doch wir leben in spannungsreichen Zeiten und leider haben wir es als Koalition nicht geschafft, zu weniger Spannungen beizutragen. Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass diese Koalition zurzeit die richtige ist.

Dennoch: Beim Thema Waffenlieferungen an die Ukraine scheint Sahra Wagenknecht näher bei Ihrer Linie zu sein als Ihre Koalitionspartner.
Nein, Sahra Wagenknecht möchte die Unterstützung der Ukraine sofort einstellen und wünscht sich eine enge Zusammenarbeit mit Russland. Das sind Positionen, die teilweise auch von der AfD geteilt werden und in denen wir uns fundamental unterscheiden.

Stichwort AfD: Die Partei erlebt in Umfragen derzeit einen Höhenflug. Insbesondere in Ostdeutschland, wo in diesem Jahr drei Landtagswahlen anstehen. Wie nehmen Sie das als SPD-Fraktionsvorsitzender wahr?
Das macht mir Sorgen. Und ich kann nur immer wieder appellieren, dass die Leute, die meinen, das Risiko eingehen zu wollen, eine Partei wie die AfD zu wählen, auch das Ende mitdenken müssen. Wenn ein Herr Höcke, der sich anschickt, Ministerpräsident in Thüringen zu werden, Kinder und Jugendliche mit Behinderung als Belastung für die Gesellschaft beschreibt, wenn dieser Herr Höcke den Mindestlohn abschaffen will, wenn er Deutschland aus der Europäischen Union führen will – dann sollte jeder darüber nachdenken, ob eine Stimme für die AfD nicht eine Stimme ist, die sich irgendwann gegen ihn selbst wenden wird.

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