Politik Leitartikel: Im Westen viel Unsicherheit

Das Großmanöver Russlands an der Nato-Ostgrenze wirft ein Schlaglicht auf das zerrüttete Verhältnis zwischen Moskau und dem Westen. Haupthindernis für eine Entspannung bleibt der Konflikt um die Krim und die Ostukraine. Schon vor einem Jahrzehnt hat

Moskau die Hoffnung auf eine neue Beziehung zur Nato aufgegeben.

Wer verstehen will, was die Annexion der Krim 2014 und die bis heute andauernde russische Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine bedeuten, der schaue nach Weißrussland und nach Schweden. Die Militärmanöver dort müssen beunruhigen. Beteuerungen, es handele sich um defensive Übungen, ändern nichts an der Tatsache, dass sie von tiefem Misstrauen zeugen. Vergleiche mit der nuklearen Konfrontation des Kalten Kriegs hinken zwar, aber die Nato und Russland stehen auf Kriegsfuß. Für die meisten Deutschen ist Russlands Einverleibung der Krim eine Fußnote. Bedauerlich sei das, sicher, aber doch kein Grund, einen neuen Kalten Krieg zu riskieren. Aus Nato-Sicht, die auch Bundeskanzlerin Angela Merkel teilt, waren die Ereignisse der Ukraine-Krise dagegen eine Zäsur. Das trifft auch zu. Allerdings lässt sich das Ganze durchaus umgekehrt – also nicht nur als russische Aggression – deuten: Russland sah sich durch den „Putsch“ von der Straße in der Ukraine so bedroht, dass es eben militärisch eingriff. Was da in Kiew geschah, war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Bereits der Georgienkrieg 2008 hatte gezeigt, dass Moskau alle Hoffnungen auf ein Ende der Nato-Erweiterung begraben hatte. 2011 folgte der Schock der Intervention der USA in Libyen. Von jenem Jahr an rüstete Russland massiv auf. Mittlerweile bringt das Land auch politisch einiges von dem Gewicht auf die Waage, das die Sowjetunion einst hatte, nicht zuletzt in Syrien. Dass das Nato-Mitglied Türkei russische Flugabwehrtechnologie kauft, ist mehr als nur ein Ausrufezeichen. Die Europäer nehmen all das höchst unterschiedlich wahr. Was in Westeuropa die Bevölkerung wenig kümmert, steht in Polen oder im Baltikum oben auf der Agenda. Sie fordern von den Nato-Partnern noch mehr Schutz. Ja, die Friedensdividende, von der in den 90er Jahren gerne geredet wurde, erscheint heute in einem ganz anderen Licht. Dass Zehntausende Soldaten – gerade der USA, auch in Rheinland-Pfalz – abgebaut wurden, ist ein handfestes Problem für die Generäle. Es fehlen Panzer, es fehlen Hubschrauber, es fehlen Truppen. In der Tat wäre die Nato gar nicht in der Lage, eine Invasion des Baltikums mit konventionellen Waffen zu stoppen. Eine Rückkehr zu alten Truppenstärken der USA kann sich indes niemand wirklich wünschen. Sie wäre auch nicht finanzierbar oder politisch durchsetzbar, weder in Washington noch in EU-Hauptstädten. Die Strategie der Nato, mit einer rotierenden „Speerspitze“ von 5000 Mann an der Ostflanke die Kampfbereitschaft zu erhöhen, ist die richtige: eine klare wie maßvolle Reaktion auf die verständliche Angst der Polen und der Balten vor dem wieder erstarkten Russland. Verunsicherung herrscht in Europa freilich auch, weil es Zweifel an den USA gibt. US-Präsident Donald Trumps Satz, die Nato sei obsolet, hat Vertrauen gekostet. Da können US-Generäle noch so oft beteuern, die Beistandsgarantie gelte. Um diese Verunsicherung weiß Kremlchef Wladimir Putin, der sich geschickt als stabile Hand zu präsentieren weiß, während Trump fast nur Kopfschütteln erntet. Dennoch: Präsident Putins jüngstes Gedankenspiel über eine UN-Truppe im Donbass sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er kein Interesse daran hat, die Krim wieder abzugeben oder auch den Ostukrainekonflikt zu lösen. Er weiß: So lange die prorussischen Separatisten ein Machtfaktor bleiben, werden die meisten EU-Mitglieder der Nato einem Beitrittsgesuch Kiews zum Bündnis nicht zustimmen.

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