Namibia Die kurze und blutige Geschichte von Deutsch-Südwestafrika

Ein Denkmal erinnert im Zentrum der namibischen Hauptstadt an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Her
Ein Denkmal erinnert im Zentrum der namibischen Hauptstadt an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama von 1904 bis 1907.

Deutschland und Namibia haben sich über die weitere Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit verständigt. Zeit für einen Blick zurück. Was geschah in Deutsch-Südwest?

Mit einer Finte fing alles an. Die Meeresbucht von Angra Pequena erfüllte am 7. August 1884 der Widerhall von Salutschüssen auf Kaiser Wilhelm I. Auf Betreiben des Bremer Tabakhändlers Adolf Lüderitz wurde die dünn besiedelte Region an der afrikanischen Atlantikküste samt Hinterland „bis zu einer Ausdehnung von 20 geografischen Meilen landeinwärts“ mit militärischem Pomp „unter den Schutz und die Oberherrlichkeit Seiner Majestät“ gestellt. Bereits eineinhalb Jahre zuvor hatte Lüderitz' Mittelsmann Heinrich Vogelsang in einem windigen Geschäft mit dem Nama-Häuptling Joseph Fredericks die territoriale Grundlage für das „Schutzgebiet“ Deutsch-Südwestafrika gelegt, das heutige Namibia.

600 Pfund Sterling und 260 Gewehre

Während Fredericks lediglich die englische Meile, umgerechnet rund 1,6 Kilometer, als Maßstab kannte, legte Vogelsang bei den Vertragsgesprächen die deutsche Einheit von 7,4 Kilometer zugrunde und erwarb auf diese Weise ein Gebiet, das sogar die Landfläche des Reiches übertraf. Ein Faktum, das der dolmetschende Missionar der evangelischen Rheinischen Mission den afrikanischen Verhandlungspartnern wohlweislich verschwieg. Entschädigt wurde der Nama-Häuptling schließlich mit insgesamt 600 Pfund Sterling und 260 Gewehren. Leichtes Spiel für Lüderitz, der es nicht zuletzt im illegalen Waffenhandel zu beträchtlichem Reichtum gebracht hatte.

Grausamer Vernichtungskrieg

Der von den neuen Siedlern aus dem fernen Europa erhoffte Wohlstand ließ freilich auf sich warten. Der Anbau von Kulturpflanzen erwies sich als wenig lohnend; eine Rinderpest führte 1897 zu einer wirtschaftlichen und sozialen Krise. Hinzu kam, dass sich die Kolonialherren in immer neuen kostspieligen militärischen Auseinandersetzungen mit den beiden größten Bevölkerungsgruppen, den Nama und den Herero, verzettelten.

Die Konflikte kulminierten in einem grausamen Vernichtungskrieg, bei dem zwischen 1904 und 1908 Zehntausende Angehörige beider Völker ums Leben kamen. Der damalige Truppenchef Lothar von Trotha kündigte am 2. Oktober 1904 an: „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.“

Die Schlacht am Waterbergmassiv

Der Befehl folgte auf die Schlacht am Waterbergmassiv am 11. August 1904. Danach hatten sich die Herero einer drohenden Einkesselung durch die Deutschen mit der Flucht in die wasserlose Omaheke-Wüste entzogen. „Grauenhafte Szenen des Leids müssen sich im Sandfeld abgespielt haben. Ein Todesmarsch“, heißt es in dem Standardwerk „Deutsche Kolonien – Traum und Trauma“ von Gisela Graichen und Horst Gründer. Schon länger sprachen viele Historiker und Politiker von Völkermord – auch die am Freitag veröffentlichte Erklärung zum Abschluss der Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia nutzt diesen Begriff.

Nach den Kämpfen witterten manche Siedler das ganz große Geschäft. Diamantenfunde im Hinterland von Angra Pequena, inzwischen in Lüderitzbucht umbenannt, sorgten für eine vorübergehende Blütezeit der Kolonie. Kolmanskuppe heißt der Ort unweit der ersten Schürfstätten, der wohl am besten den Wahnwitz jener kurzen Phase verdeutlicht. Mit schier unglaublicher Geschwindigkeit stampften hier ab 1908 die Kolonisten eine Mustersiedlung aus dem staubigen Boden - inklusive Kegelbahn, Kraftwerk und Krankenhaus mit dem ersten Röntgenapparat des südlichen Afrika.

In den Minen bei Kolmanskuppe

Auch der kostengünstige Abbau des begehrten Minerals wurde dank deutscher Organisationskunst umgehend geregelt. Weil die arbeitsfähigen Herero und Nama kurz zuvor fast alle ausgerottet worden waren, warben die Minenbetreiber kurzerhand Wanderarbeiter unter anderem aus dem weiter nördlich gelegenen Ovambo-Gebiet an. Die Zwölf-Stunden-Schichten an sieben Tagen in der Woche forderten ihren Tribut: In den Minen bei Kolmanskuppe soll unterschiedlichen Angaben zufolge ungefähr jeder zehnte Arbeiter an Erschöpfung gestorben sein.

Schon früh im Ersten Weltkrieg kam das Ende für die Kolonie. Die letzte Stellung der Deutschen, die den Truppen aus Südafrika standhielt, hörte auf den passenden Namen „Sargdeckel“. Am 9. Juli 1915 unterzeichnete der letzte Gouverneur Theodor Seitz schließlich die Kapitulation.

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