Meinung 75 Jahre Grundgesetz: In guter Verfassung

Originalausgabe des Grundgesetzes im Deutschen Bundestag.
Originalausgabe des Grundgesetzes im Deutschen Bundestag.

Das Grundgesetz gibt es seit 75 Jahren. Es schützt die Bürger dieses Landes vor staatlicher Willkür und Ungleichbehandlung. Heute gilt es mehr denn je, dankbar für dieses Werk zu sein.

Die Zeit des Nationalsozialismus ist die dunkelste Epoche in der deutschen Geschichte. Es waren Deutsche, die massenhaft Juden ermordet haben. Es waren Deutsche, die zahlreiche Menschen mit Behinderung getötet haben. Es waren Deutsche, die Nachbarn aus der Heimat vertrieben haben. Es waren Deutsche, die vorgaben, nichts von den Taten der Nazis gewusst zu haben.

Die Deutschen von heute kennen diese Geschichte und diese Geschichten. Sie sind nicht schuld an den Verbrechen ihrer Vorfahren. Aber sie sind schuld, wenn sich Geschichte wiederholt, wenn sich Geschichten wiederholen. Vieles, was es zu beachten gilt, um das zu verhindern, ist mit tausenden Wörtern niedergeschrieben. Im wertvollsten Dokument dieses Landes: im Grundgesetz.

Nicht an Relevanz verloren

Dieses Jahr ist es 75 Jahre her, dass der Parlamentarische Rat den Auftrag der westlichen Besatzungsmächte erfüllt hat, eine Verfassung auszuarbeiten. 75 Jahre, in denen es etliche Anpassungen gab. 75 Jahre, in denen eines nie verändert wurde: das Plädoyer für die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz und die Unantastbarkeit ihrer Würde.

Die Alliierten haben Deutschland die Freiheit geschenkt – und ein Werk, um das uns heute Menschen auf der ganzen Welt beneiden. Die Verfolgten, die Unterdrückten, die unter Extremisten Leidenden sehnen sich nach einem Grundkonsens, auf den sich alle einigen können.

In Zeiten, in denen so ziemlich jede Gewissheit infrage gestellt wird, können sich überzeugte Demokraten immerhin darauf verständigen, dass die Artikel im Grundgesetz Bestand haben müssen. Trotz seines Alters hat das Dokument nicht an Relevanz verloren. Im Gegenteil: Gerade gilt es mehr denn je, Feinden der Verfassung Grenzen zu setzen.

Einladung zur Diskussion

Was für die heutige Generation selbstverständlich ist, haben wir dem Grundgesetz zu verdanken: die Bindung der Staatsgewalt an geltendes Recht. Ein Wegsperren von Oppositionellen unter fadenscheinigen Gründen? Ein Ausschließen von Bundesbürgern von demokratischen Prozessen? In Deutschland undenkbar.

Das Grundgesetz sichert die Grundrechte der Menschen in diesem Land. Dazu gehört auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. In Deutschland darf jede und jeder auch den größten Quatsch erzählen – solange der nicht justiziabel ist. Was manche in diesem Zusammenhang allerdings verwechseln, ist das Recht zur freien Meinungsäußerung (garantiert) und das Recht zur unwidersprochenen Meinungsäußerung (nicht garantiert). Die Widerrede wertet manch einer schnell als „Beschneidung seiner Grundrechte“. Dabei wäre „Einladung zur Diskussion“ korrekt.

Das beste Geschenk

Deutschland braucht Diskussionen, Deutschland braucht Diskurs. Die Zeiten sind herausfordernd, Extremisten streben wieder nach Macht. Die Demokraten sollten sich auf ihren Grundkonsens besinnen, in der Sache streiten – aber gemeinsam für die unerschütterliche Gültigkeit des Grundgesetzes kämpfen. Es ist in jüngster Zeit zu viel Wertvolles verloren gegangen. Die Achtung der Grundrechte für jeden in diesem Land darf nicht auch noch dazu kommen. Niemals.

Es waren Deutsche, denen nach der Befreiung eine Chance gegeben wurde. Von Alliierten, die dem Schrecken ein Ende gesetzt haben. Die daran geglaubt haben, dass das Urböse nicht jedem Deutschen innewohnt. Gerade in diesen Zeiten muss Deutschland das Grundgesetz feiern. Es ist das beste Geschenk, das dieses Land je bekommen hat.

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