Kultur Ein Sänger, ein Stil

Viel Beifall in Baden-Baden für Jonas Kaufmann (vorne rechts), Jochen Rieder (daneben) und das Sinfonieorchester Basel.
Viel Beifall in Baden-Baden für Jonas Kaufmann (vorne rechts), Jochen Rieder (daneben) und das Sinfonieorchester Basel.

Gustav Mahler schrieb seine Sinfonie „Das Lied von der Erde“ eigentlich für zwei Gesangsstimmen, einen Tenor und einen Alt (oder Bariton), und Orchester. Der Tenor Jonas Kaufmann aber singt beide Partien und alle sechs Sätze. Zum Abschluss einer Tournee durch Deutschland und die Schweiz gastierte er damit im Festspielhaus Baden-Baden. Am Pult des Sinfonieorchesters Basel: der aus Herxheim bei Landau stammende Dirigent Jochen Rieder.

Rieder ist seit einigen Jahren der feste Begleiter von Jonas Kaufmann bei seinen Soloprogrammen und tritt mit ihm in ersten Häusern und mit weltberühmten Orchestern auf. Auch auf CDs und DVDs sind beide zusammen zu erleben. Bei der Tournee mit dem Sinfonieorchester Basel traten sie nun in einem sinfonischen Programm auf. Auf Kaufmanns CD mit dem „Lied von der Erde“ spielen jedoch die Wiener Philharmoniker unter Jonathan Nott. Die Musikfreunde aus der Südpfalz kennen Jochen Rieder schon lange. Mit Ad-hoc-Ensembles führte er hier Anfang der 1990er-Jahre große Stücke wie etwa Händels „Messias“ auf. Als Assistent von Generalmusikdirektor Günter Neuhold wirkte er am Badischen Staatstheater Karlsruhe und am Theater in Bremen. Dann ging er an die Oper nach Zürich. Dort und bei den Bayreuther Festspielen war er auch als Maestro suggeritore tätig. Der Maestro suggeritore ist ein Dirigent nur für die Bühne, der vom Soufflierkasten aus die Sänger mit Einsätzen „bedient“. Zunächst in Bremen, Zürich und anderen Städten in der Schweiz und Österreich dirigierte Rieder Opernaufführungen und Konzerte. Mittlerweile ist er nicht nur mit Jonas Kaufmann weltweit aktiv. 2004 hatte er den Tenor in Bayreuth kennengelernt: der Beginn einer engen musikalischen Zusammenarbeit und Freundschaft. Klar, dass Solist und Dirigent bei der Wiedergabe des „Liedes von der Erde“ auf einer Wellenlänge lagen und in ihrem Vorstellungen von dem Stück übereinstimmten. Rieder leitete dabei sicher und mit klaren Gesten das vorzüglich spielende Sinfonieorchester Basel. Jonas Kaufmann kennt das „Lied von der Erde“ gut und singt schon lange die Stücke für Tenor. Ich erinnere mich an eine Aufführung mit ihm vor rund 20 Jahren beim Musikfest in Stuttgart, bei der die Qualität des damals noch kaum bekannten Sängers schon deutlich zu erkennen war. An Mahlers 100. Todestag war Kaufmann auch der Tenorsolist in der Berliner Philharmonie unter Claudio Abbado. Doch Jonas Kaufmann hat nicht nur eine klare Vorstellung von dem Stück, sondern auch das sängerische Potenzial die heikle Aufgabe für den Tenor mühelos zu bewältigen. Das ist eine Grundvoraussetzung für sein ambitioniertes Projekt, alle Teile allein zu singen. Kaufmann muss sich sängerisch vor allem im ersten und fünften Teil nicht so verausgaben wie viele seiner Kollegen, so dass er die Kraft für die anderen Stücke behält. Fast noch mehr aber als das kluge Haushalten mit der Stimmkondition führt Kaufmanns innere Haltung das Projekt zum Erfolg. Er singt Mahlers Musik in der Tat wie Lieder, unaufgeregt und frei von jeglichem Opernpathos. Dabei gestaltet er keineswegs ausdruckslos, aber eben immer klug disponierend und vor allem auf eine sinnfällig und beredte Diktion ausgerichtet. Wer sich rückhaltlos dem Weltschmerz der Stücke hingäbe, wäre sicher schon nach dem ersten „Trinklied vom Jammer der Erde“ mit den Nerven fertig und kaum mehr in der Lage, den Stimmungswechsel zum melancholischen „Einsamen in Herbst“ zu vollziehen. Ganz anders Jonas Kaufmann: er singt mit immenser stimmlicher Kompetenz, aber immer schlicht im Charakter und ist so in jeder Phrase nahe bei Mahler. Ein großer Vorteil seiner Version ist natürlich die stilistische Einheit beim Gesang in allen Teilen, die ist üblicherweise nicht die Regel. So gelang im Baden-Badener Konzert eine Wiedergabe von ungebrochener Spannung bis hin zum bewegend geformten „Abschied“. Übrigens: alles 2500 Besucher im randvollen Festspielhaus hörten, anders als wenige Tage zuvor in der Hamburger Elphi, den Sänger sehr gut. Es gab keine Missfallensbekundungen, sondern am Ende Ovationen im Stehen, auch für das Orchester und Jochen Rieder, die im ersten Teil passend Luciano Berios „Rendering“ nach den sagenhaften späten Sinfonie-Fragmenten Schuberts musizierten.

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