Rhein-Pfalz Kreis Ein tiefer Einblick

Auf Spurensuche. Wolfgang Ettmüller und Christa Neufeld studieren eine Täterakte.
Auf Spurensuche. Wolfgang Ettmüller und Christa Neufeld studieren eine Täterakte.

«Rödersheim-Gronau.» Wolfgang Ettmüller fällt gleich ein Fehler auf dem Erinnerungsbanner in einer Zelle auf. „Hermann Felsenthal war aber Zigarrenfabrikant und nicht Cigarettenfabrikant“, sagt der Koordinator der Geschichtswerkstatt des TV Rödersheim, der mit seiner Gruppe auf Spurensuche in der Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt an der Weinstraße ist. „Wir kennen noch längst nicht alle 500 Namen der hier Inhaftierten“, entgegnet Eberhard Dittus vom Förderverein der Gedenkstätte. Gespannt lauschen die Rödersheimer dessen Ausführungen, stöbern in Täter- und Opferakten, Büchern aus und über die Zeit des Nationalsozialismus. Sie möchten einen tieferen Einblick in die Zeit, das Denken und die historischen Ereignisse erhalten. Denn die Geschichtswerkstatt des TV Rödersheim ist dabei, für das 125-jährige Vereinsjubiläum 2022 eine umfangreiche Dokumentation zur Geschichte des Vereins und des Dorfs zu erstellen, in der die Zeit des Nationalsozialismus einen der Schwerpunkte bilden soll. Und durch Felsenthal gibt es auch einen konkreten Bezug zwischen Rödersheim und dem Konzentrationslager in Neustadt. Der jüdische Zigarrenfabrikant war einer der ersten Häftlinge dort. Felsenthal war einer der größten Zigarrenhersteller in der Pfalz und unterhielt mehrere Betriebe mit mehr als 500 Mitarbeitern. Unter anderem hatte er auch in Rödersheim eine Filiale seiner Fabrik, in der er 93 Menschen beschäftigte. 1886 in Münchweiler geboren, lebte er in Kaiserslautern und war in der jüdischen Kultusgemeinde aktiv. Vom 17. März bis zum 12. April 1933 war Felsenthal im Konzentrationslager Neustadt inhaftiert, nachdem er wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden war. Auch er wird wohl wie die anderen Gefangenen unter Schikanen und Misshandlungen gelitten haben, wie Religionspädagoge und Diakon Dittus den Rödersheimer Besuchern erzählt. Vom Lager in Neustadt wurde Felsenthal nach Zweibrücken überstellt, wo seine „Schutzhaft“ noch bis zum 4. Mai 1933 andauerte. Aber auch danach musste er weitere Schikanen über sich ergehen lassen. So wurde er im Oktober 1933 erneut wegen Steuerhinterziehung zu mehreren hohen Geldstrafen zwischen 2200 und 134.000 Reichsmark verurteilt. „In Rödersheim hatte ihm bereits im Juni 1933 der gleichgeschaltete Gemeinderat in seiner dritten Sitzung Steuervergünstigungen bei der Gewerbesteuer entzogen, nachdem man bei der ebenfalls in Rödersheim vertretenen Zigarrenfabrik Gebrüder Feibelmann aus Mannheim falsche Angaben über die Rechtmäßigkeit von Vergünstigungen festgestellt haben wollte“, berichtet Wolfgang Ettmüller von der damals herrschenden Willkür. Ettmüller ist Koordinator der Geschichtswerkstatt und recherchiert als Schwerpunkt die Zeit des Nationalsozialismus. Durch die Ausstellung in der Gedenkstätte mit Bild- und Textdokumenten, Waschraum und Zellen führte Minella Hoffman, die hier ihr Jahr im Bundesfreiwilligendienst absolviert. „Diese kleinen frühen Konzentrationslager, wie hier in Neustadt, sind recht schnell aufgelöst worden, da sie zu teuer waren. Dafür wurden dann die großen Lager eingerichtet.“ Für die Pfalz war dies das bayerische Dachau, wohin denn auch ein Großteil der Neustadter Häftlinge verbracht wurde. 1938 wurde Hermann Felsenthal im Zuge der „Arisierung“ von Betrieben praktisch enteignet. Im November 1938 zog er mit seiner Frau Karolina nach Frankfurt, wo er am 12. Juni 1939 eines natürlichen Todes starb. Seiner Frau gelang über Russland und Japan die Emigration in die Vereinigten Staaten, wohin auch schon Felsenthals Sohn 1934 und Tochter 1938 gegangen waren. Felsenthals Sohn Leonhard kam 1945 als Offizier der amerikanischen Besatzungsarmee nach Kaiserslautern zurück. Karolina Felsenthal starb 1964 in den Vereinigten Staaten. „Hochinteressant“, war das einhellige Fazit der 22 Rödersheimer zum Besuch in der Gedenkstätte – egal, ob sie nun Mitte 20 oder Mitte 80 waren. Das Interesse zeigte sich denn auch in einer regen Abschlussdiskussion, bei der Themen wie der damalige Gauleiter der Pfalz, Josef Bürckel, Formen des Widerstands und Unterdrückung durch Angst, Wahlverhalten in Pfälzer Dörfern und die politische Rolle von Frauen ebenso zur Sprache kamen wie die Einflussnahme auf Kinder und Jugendliche durch Schulbücher.

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