Neustadt Zwei Jahre Krieg: Wie Neustadt den Ukrainern weiter zur Seite steht

Packen kräftig an, um die Menschen in der Ukraine mit Hilfsgütern zu versorgen: Helfer in Lachen-Speyerdorf.
Packen kräftig an, um die Menschen in der Ukraine mit Hilfsgütern zu versorgen: Helfer in Lachen-Speyerdorf.

Am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine angegriffen. Seither herrscht Krieg in Osteuropa, und seither reißen die Hilfen aus Neustadt nicht ab. Besonders engagiert sind die evangelische Kirchengemeinde Lachen-Speyerdorf und das Herz-Jesu-Kloster. Was bereits auf die Beine gestellt wurde und was geplant ist.

Als vor zwei Jahren offiziell der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ausbrach, war das für Carsten Hofsäß von der evangelischen Kirchengemeinde in Lachen-Speyerdorf ein Schock. Gemeinsam mit dem Arbeitskreis Ukraine Pfalz der evangelischen Landeskirche und der evangelischen Gemeinschaft pflegt die Gemeinde seit mehr als 30 Jahren enge Kontakte in das osteuropäische Land. Ein Spendenaufruf wurde gestartet, nach dem die Neustadter Helfer „quasi überrannt“ wurden. „Innerhalb von drei, vier Tagen konnten wir erst mal nichts mehr annehmen.“ Denn die Spenden mussten sortiert und der Transport organisiert werden.

Juli 2023: Eine medizinische Behandlungseinheit aus Bad Dürkheim sowie Neustadter Schulmöbel werden verladen und direkt nach Muk
Juli 2023: Eine medizinische Behandlungseinheit aus Bad Dürkheim sowie Neustadter Schulmöbel werden verladen und direkt nach Mukatschewo transportiert.

Die Hilfe von Johannes Müller, Sohn des Inhabers von Müller Bau in Haßloch, sei dabei „ein Geschenk des Himmels“ gewesen, weil es vor allem Lkws und Fahrer brauchte. Die Hilfsgüter gehen laut Hofsäß von Lachen-Speyerdorf zunächst an ein Diakoniezentrum in Ungarn, zu dem die Gemeinde enge Verbindungen pflege, und weiter ins westukrainische Mukatschewo sowie Richtung Ostfront nach Kiew und Odessa.

Hilfen zielgerichteter

Nach zwei Jahren Krieg werde zwar nicht mehr so viel, aber immer noch beständig gespendet, vor allem Kleidung, Decken, Medikamente und Spielwaren, sagt Hofsäß. „Der Bedarf hat sich über die Zeit verändert, gleichzeitig sind unsere Hilfen aber auch zielgerichteter geworden.“ Dankbar ist Hofsäß nicht nur Pfarrer Stephan Oberlinger und örtlichen Firmen wie Abendland Umzüge für ihre Unterstützung, sondern auch den freiwilligen Helfern, die beim Laden der Hilfstransporte mit anpackten. „Diese Hilfsbereitschaft, auch aus der Bevölkerung, ist nicht selbstverständlich.“

Februar 2023: Die Praxis von Zahnarzt Otto Müller in Speyer wurde von Abendland Umzüge nach Lachen-Speyerdorf transportiert, zwi
Februar 2023: Die Praxis von Zahnarzt Otto Müller in Speyer wurde von Abendland Umzüge nach Lachen-Speyerdorf transportiert, zwischengelagert und dann mit Hilfsgütern nach Kiew geschickt.

„Anfangs gab es mehr Bereitschaft, Geld in die Hand zu nehmen“, fällt auch Pater Gerd Hemken vom Neustadter Herz-Jesu-Kloster auf. Nun würde eher gespendet, was nichts kostet oder übriggeblieben sei, wie beispielsweise medizinischer Bedarf wie Rollatoren oder Kleidung. Der Pater steht seit Kriegsbeginn in Kontakt mit Klosterbrüdern in Polen und der Ukraine und ist im März vergangenen Jahres selbst bis tief in den Osten des angegriffenen Landes gefahren, „um zu sehen, wo unsere Spenden hingehen, und um Vertrauen zu den Helfen dort aufzubauen“. Alle zwei Monate schickt das Kloster drei Hilfstransporte mit Hygieneartikeln und haltbaren Lebensmitteln in Richtung Osten. In Polen wurde eine Lagerhalle angemietet, von der aus polnische Freiwillige die Güter in die Ukraine bringen. „Die Kontrollen an der Grenze sind weiterhin scharf, weil es Schmuggler und Korruption gibt.“

Stiftung hilft traumatisierten Kindern

Außerdem finanziere die Neustadter Ordensgemeinschaft „zu 100 Prozent“ eine örtliche Stiftung, die kriegstraumatisierten Kindern hilft, erzählt Hemken, und es werde die Diözese im ostukrainischen Charkiw bei ihren Hilfen unterstützt. Daneben wurden zwei Medical Center zur medizinischen Versorgung aufgebaut und Sommercamps angeboten, bei denen Kinder „zehn unbeschwerte Tage“ in Deutschland verbringen konnten. „Das wollen wir 2024 wieder machen“, kündigt Hemken an.

Die Stiftung Kulbabka kümmert sich um kriegstraumatisierte Kinder in der Ukraine.
Die Stiftung Kulbabka kümmert sich um kriegstraumatisierte Kinder in der Ukraine.

Petra Koch, in der Stadtverwaltung für Städtepartnerschaften zuständig, lobt „das große Engagement aus der Neustadter Bevölkerung und von Vereinen“. So hätten unter anderem die Musikschulen Juphi und Selino sowie der Verein für Integration und Bildung zu Kriegsbeginn zum Beispiel Wohnungen für Geflüchtete zur Verfügung gestellt. Essenziell für die schnelle Hilfe seien Logistik, Erfahrung und Kontakte gewesen, die die evangelische Kirchengemeinde aufgebaut hat. „So konnte schnell Vertrauen gefasst werden.“

Begegnungen als Bereicherung

Die Solidaritätspartnerschaft mit Mukatschewo in der Region Transkarpatien, die der Neustadter Stadtrat im März 2023 beschlossen hat, ist laut Koch ein „emotionales Anliegen“ mit dem Ziel, Akteure zusammenzuführen und Helfer zu vernetzen. Oberbürgermeister Marc Weigel besuchte im Juli 2023 Mukatschewos Vize-Bürgermeisterin Julia Tayps, und sie kam zum Jahresende mit einer Delegation nach Neustadt. „Man ist natürlich noch tiefer betroffen, wenn man die Situation vor Ort mitbekommt“, sagt Koch. Auch hat die Stadt Haushaltsmittel für die Hilfen eingestellt und im vergangenen Jahr Schulbücher gekauft sowie ausrangierte Stühle und Tische aus Neustadter Schulen mit Hilfe der evangelischen Kirche nach Mukatschewo gebracht.

März 2023: Lebensmittelspenden in Charkiw, fotografiert auf der Reise von Pater Gerd Hemken (ganz rechts) vom Herz-Jesu-Kloster
März 2023: Lebensmittelspenden in Charkiw, fotografiert auf der Reise von Pater Gerd Hemken (ganz rechts) vom Herz-Jesu-Kloster Neustadt.

„Die Hilfen sind ein Aspekt, aber die Ukrainer wollen auch etwas zurückgeben“, betont Koch. Die Begegnungen, etwa über das Team Offene Jugendarbeit, seien auch für Neustadt eine Bereicherung. Für den nächsten Besuch von zehn ukrainischen Jugendlichen über Pfingsten würden noch Gastfamilien gesucht. Im April sei zudem eine Schülerbegegnung in Kooperation mit den drei Neustadter Gymnasien geplant.

Stimmung droht zu kippen

Für Hofsäß, der seit 2012 beinahe jährlich in der Ukraine war und Ende März wieder mitreisen will, sind die persönlichen Kontakte „ganz wichtig“. Die Herzlichkeit, die er von den Ukrainern kenne, habe sich kein bisschen verändert. Doch nun lebe das Volk mit Luftalarmen, „da wird einem ganz anders“. Familien seien vom Krieg zerstört worden, und das schon seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland 2014. „Viele meiner Freunde aus Odessa sind geflohen und bis heute nicht zurückgekehrt. Wenn wir nicht helfen, würde die Situation noch schlimmer.“

Beratung im Medical Center in der Ukraine, das mit Spenden vom Herz-Jesu-Kloster aufgebaut wurde.
Beratung im Medical Center in der Ukraine, das mit Spenden vom Herz-Jesu-Kloster aufgebaut wurde.

Dass die Menschen sich an den Ausnahmezustand gewöhnen, hat auch Pater Hemken beobachtet. In Charkiw, 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, höre man nicht nur stündlich Alarm. „Da knallt es auch, und wir mussten uns auf den Boden legen und beten. Im Osten der Ukraine lebt man in ständiger Angst.“ Die Stimmung im Land stünde vor einem Kipppunkt, da die Ukrainer nicht mehr so siegessicher wie zu Anfang seien. „Es fehlen Soldaten und Ausrüstung“, sagt Hemken und wiederholt, was ihm ein Ukrainer mal erklärte: „Er sagte: ,Ob wir den Krieg gewinnen oder verlieren, wird in Paris, Berlin und Washington entschieden.’ Wenn man das Leid und Elend gesehen hat, die Leute kennt, dann kann man nicht anders als helfen zu wollen und zu müssen.“

Zum Jahrestag findet am Samstag, 10 bis 13 Uhr, unter dem Motto „Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen“ eine Mahnwache der Friedensinitiative Neustadt auf dem Hetzelplatz statt.

So können Sie helfen

Die evangelische Kirchengemeinde Lachen-Speyerdorf nimmt weiterhin alle zwei Wochen montags von 18 bis 19 Uhr Sachspenden an, das nächste Mal am 4. März. Zufahrt: In Lachen-Speyerdorf am Kreisel am Lidl in die Haßlocher Straße einbiegen, nach einigen Metern auf der rechten Seite durch das grünes Tor neben der Zufahrt zum Firmengelände Trautz in der Haßlocher Straße. Die Halle befindet sich hinter dem Lidl, ist aber nur über die Haßlocher Straße zu erreichen. Mehr Infos bei Johannes Müller unter Telefon 0157 39406589. Wer den Arbeitskreis Ukraine Pfalz unterstützen will, kann auf folgendes Konto spenden: Protestantisches Verwaltungsamt für Lachen-Speyerdorf, IBAN DE08 5465 1240 1000 4249 01, Verwendungszweck: Ukraine-Hilfe Lachen.
Geldspenden nimmt das Herz-Jesu-Kloster über das Spendenkonto der Missionsprokura an: IBAN DE05 4006 0265 0000 1230 00, Verwendungszweck: Spendentransport Ukraine.
Mehr Infos zu den Jugendbegegnungen unter www.nw4you.de/internationalejugendbegegnung. Wer sich als Gastfamilie anbieten möchte, kann sich unter Telefon 06321 8551659 oder per E-Mail an Jugendarbeit@neustadt.eu melden. Informationen zur rechtlichen Seite der Bürgerschaftshilfe listet die Stadt unter www.neustadt.eu/ukraine.

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