Sportkolumne Warum es nicht hartherzig war, die Rad-WM nach dem Todesfall fortzusetzen

Die Gedenkstätte für Muriel Furrer nahe Zürich.
Die Gedenkstätte für Muriel Furrer nahe Zürich.

Der Unfalltod der jungen Schweizer Radsportlerin Muriel Furrer bewegte vor einer Woche die Menschen. Die Weltmeisterschaft, bei der das Unglück geschah, wurde fortgesetzt. Zu Recht?

Am Freitag vor einer Woche kam um 14.56 Uhr die Eilmeldung, dass die Muriel Furrer einen Tag nach ihrem verheerenden Sturz ihren Verletzungen erlegen ist. Natürlich war auch ich in dem Moment geschockt. Schon der nächste Gedanke galt aber unserer redaktionellen Wochenendplanung, das ist nun mal auch in solchen Ausnahmesituationen (leider) die Berufskrankheit des Blattmachers und Nachrichtenverarbeiters. Am Samstag sollte bei der Rad-WM in Zürich das Straßenrennen der Frauen stattfinden, mit deutschen Außenseiterinnenchancen. Und am Sonntag das der Männer mit der zu erwartenden erneuten Krönung von Tour- und Giro-Sieger Tadej Pogacar. Am Freitag um kurz vor drei ging ich jedoch davon aus, dass diese Rennen nicht stattfinden würden – und hätte das auch nachvollziehbar gefunden.

Wunsch der Familie

Doch der Veranstalter verkündete schnell: „Die Rennen werden fortgesetzt, das ist der Wunsch der Familie.“ Ähnliches war schon bei anderen tragischen Anlässen zu vernehmen, auch der sinngemäße Satz: Sie/Er hätte sich gewünscht, dass der Wettbewerb nicht abgebrochen wird. Beides ist zu respektieren. Und so war es nicht hartherzig, die beiden letzten Rennen zu starten und ihnen auch sportliches Gewicht zuzubilligen inmitten der Trauer um Muriel Furrer, die nur 18 Jahre alt wurde. Vielmehr war es ein Angebot an die Fahrerinnen und Fahrer, von denen einige in diesem kleinen Kosmos Profiradsport Muriel Furrer gekannt haben dürften, vielleicht sogar mit ihr befreundet waren, selbst zu entscheiden, wie sie mit ihrer Trauer umgehen.

Das deutsche Talent Antonia Niedermaier brach während des WM-Rennens am Samstag in Tränen aus, sie war im vergangenen Jahr heftig gestürzt und hatte dabei großes Glück. Natürlich kamen die Gedanken daran wieder hoch. Am Samstag, erzählte sie, sei sie – zudem bei schlechtem Wetter – bewusst vorsichtig gefahren. Aber sie fuhr, und das war ihr in dem Moment ganz sicher wichtig. Das erinnert mich an eine alte Reiterweisheit. Wer vom Pferd fällt, soll am besten gleich wieder raufklettern und in den Sattel – gar nicht lange grübeln, den Schrecken gleich aus der Jacke bekommen und nicht lange mit sich tragen.

Wenn Pferde stürzen

Ein weiteres, vielleicht für einige tadelnswertes Geständnis nach dem scheinbar unterkühlten Pragmatismus des Zeitungsmachers im Fall Furrer: Sehe ich beim Pferdesport, zum Beispiel im Springreiten, am Fernseher oder live vor Ort am Platz einen Sturz, richtet sich mein Blick in den ersten Sekunden danach ausschließlich aufs Tier. Steht es schnell auf? Trabt es taktrein, ohne Lahmheit, also ohne sichtbare Verletzung? Wird es eingefangen und beruhigt? Natürlich ist mir in dem Moment der Reiter oder die Reiterin nicht egal. Nur versucht offenbar das Empathie- und Gerechtigkeitszentrum im meinem Gehirn den Ausgleich für ein unverschuldetes Defizit des Pferdes zu schaffen: Reiter oder Reiterin wissen um das Risiko ihres Sports und gehen es bewusst ein, das Tier jedoch wird diesem unwissentlich ausgesetzt. Es kann sich nicht vorher die Parcoursskizze anschauen oder den Stangenwald abgehen und dann für sich entscheiden: Nö, dieser Steilsprung oder diese breite Triplebarre ist mir zu riskant, lass ich mal lieber bleiben.

Gleichsam sollte man den Reiterinnen und Reitern ihrerseits Trauer und Entsetzen abnehmen, sollte tatsächlich etwas passieren. So wie der Springreiterin Pia Reich vor zwei Jahren auf dem Mannheimer Maimarkt, als bei einem Sturz ihr Wallach Maserati ums Leben kam. Für sie sei es das Schlimmste, was ihr passieren könne, sagte sie damals. Und ich bin bei aller Tragik heute noch „froh“, dass ich in diesem Moment als Berichterstatter nicht im Springstadion war, sondern nur ein paar Meter weiter bei einer anderen Prüfung auf einem anderen Reitplatz. Denn solche Bilder bekomme auch ich nicht mehr aus dem Kopf.

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