Wirtschaft Alkoholkrank in der Pandemie: Verstärkt Hilferufe

Die Selbsthilfeorganisation der anonymen Alkoholiker wurde 1935 in den USA gegründet.
Die Selbsthilfeorganisation der anonymen Alkoholiker wurde 1935 in den USA gegründet.

Hilfe für Alkoholkranke in Coronazeiten: Kontaktarmut, Sorge um den Job und Zukunftsangst erhöhen den Bedarf. Manche Angehörige wollen ihre Alkoholiker auf jeden Fall noch vor Weihnachten „trockenlegen“.

Teil-Lockdown, Einsamkeit, Ängste – Corona treibt in Rheinland-Pfalz die Anzahl der Hilferufe bei Selbsthilfegruppen für Alkoholiker nach oben. „Viele Leute spüren eine Ausweglosigkeit. Sie verlieren ihren Job oder sind in Kurzarbeit“, sagt Monika von den Anonymen Alkoholikern in der Pfalz. „Dann hockt man zu Hause aufeinander, es gibt Aggressionen – da ist Alkohol ein Mittel, um sich weg zu beamen“, so die trockene Alkoholikerin, die ihren Nachnamen nicht nennt. „Die Anzahl der Anrufe bei uns hat zugenommen.“ Das Problem ziehe sich „vom Müllmann bis zum Doktor“.

Trinken zur Erleichterung

Der Vorsitzende des Freundeskreises Westerwald des Vereins für Suchtkrankenhilfe, Gerhard Weyer, sagt, in Zeiten von Kurzarbeit, Kontaktbeschränkungen und Homeoffice fehle vielen der Austausch mit Kollegen und Freunden. Die Isolierung zu Hause und die Ängste vor der Zukunft könnten zum „Erleichterungstrinken“ führen. Weyers Ehefrau Ellen ergänzt, häufig würden dabei die Angehörigen vergessen: „Oft sind sie nervlich mehr belastet als der Alkoholiker selbst. Oft nehmen sie zuerst den Kontakt mit uns auf.“

Der eher triste November könne Alkoholismus noch verstärken, sagt Monika. „Viele Angehörige wollen auch vor Weihnachten noch ihre Trinkenden trockenlegen. Aber das funktioniert nicht so leicht. Der Trinkende muss selbst die Einsicht haben.“ Ellen Weyer erklärt: „Schon vor Corona hat es immer vor und nach Weihnachten mehr Hilfsbedarf gegeben.“ Familien kämen im größeren Kreis zusammen, es werde „auf heile Welt gemacht“. Dann brächen manchmal Konflikte auf.

Nicht alle haben Internet

Zahlreiche Kirchengemeinden haben ihre Räume für Selbsthilfegruppen aus Angst vor Corona-Infektionen längst gesperrt, wie Ellen Weyer und Monika berichten. Ein Ausweg sind Videokonferenzen. Ein Mitglied der Anonymen Alkoholiker im Raum Koblenz, das anonym bleiben will, sagt, drei bis zehn Betroffene kämen hier „per Skype und Zoom“ zusammen. „Es sind bestimmt auch welche abgesprungen. Nicht alle haben Internet. Oder ihr Netz ist zu schwach“, erklärt der Mann.

Eine Erhebung von Forsa im Oktober in Deutschland hat ergeben: Etwa ein Viertel der Menschen mit ohnehin problematischem Alkoholkonsum trinkt seit Corona noch mehr.

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