Kalender „Sind Sie Rudi Dutschke?“

Auch nach dem Attentat blieb Rudi Dutschke politisch aktiv: Hier spricht er während einer Diskussion im Jahr 1977.
Auch nach dem Attentat blieb Rudi Dutschke politisch aktiv: Hier spricht er während einer Diskussion im Jahr 1977.

Die Schüsse auf den Studentenführer am 11. April 1968 verändern die Proteste und die Bewegung

Für die einen war Rudi Dutschke die zentrale Figur der Studentenrevolte Ende der 60er Jahre, das Gesicht der 68er-Generation. Für die anderen war er, der „christliche Sozialist“, der Bürgerschreck par excellence. Dutschke polarisierte mit seinen Reden und Essays die deutsche Öffentlichkeit wie kein Zweiter; zugleich wurde er von Teilen der deutschen Presse – namentlich dem Springer-Verlag, der „Bild“ herausgibt – scharf attackiert. Die „Bild“-Zeitung nannte die Studenten, die damals unter anderem gegen Alt-Nazis an den Universitäten und in der Politik sowie gegen den vermeintlichen Unterdrückerstaat auf die Straße gingen, „Politgammler“ und „Wirrköpfe“. Dutschke wurde als deren „Rädelsführer“ dargestellt. Der forderte die Enteignung des Verlegers Axel Springer, weil dieser seine Medienmacht missbrauche.

Kurzum: Die Stimmung im Frühjahr 1968 war aufgeladen. Zumal die deutschen Studenten – wie in vielen Teilen der Welt auch - gleichzeitig gegen den Krieg der USA in Vietnam demonstrierten.

Verletzungen auch im Gehirn

Am 11. April 1968 trat Dutschke aus dem Büro des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) auf dem Berliner Kurfürstendamm, als ein junger Hilfsarbeiter namens Josef Bachmann ihn fragte: „Sind Sie Rudi Dutschke?“ Als dieser bejahte, schrie Bachmann „Du dreckiges Kommunistenschwein!“ und schoss drei Mal. Dutschke wurde schwer verletzt, auch im Gehirn. Nach mehreren Operationen überlebte er knapp. Bachmann wurde verhaftet – später brachte er sich um.

Erst über 40 Jahre später wurde bekannt, dass Bachmann vermutlich nicht als Einzeltäter handelte. Sondern dass er Kontakt zu einer Neonazi-Gruppe hatte. Auch deswegen wird heute dem Attentat erneut Aufmerksamkeit zuteil: Waren diese Schüsse der Auftakt für den deutschen Rechtsterrorismus, der bis heute anhält?

Die Schüsse stellten zugleich einen Wendepunkt des Studentenprotestes dar: Es ging zunehmend gewalttätig zu. Noch am gleichen Abend versuchten Demonstranten das Springer-Hochhaus in Berlin zu stürmen; dem Verlag wurde eine Mitschuld zugewiesen. Fünf Tage lang tobten auch in anderen deutschen Städten Straßenschlachten. Historiker verweisen darauf, dass die DDR und ihr Geheimdienst, die Stasi, wohl mitmischten. Der SDS zerfiel in Gruppen, die einander spinnefeind waren.

Wieder sprechen lernen

Rudi Dutschke zog sich nach dem Attentat zurück. Er, der in seinem Soziologen-Deutsch vorher stundenlang über die neue, die anti-autoritäre Gesellschaft räsonieren konnte, musste erst wieder richtig sprechen lernen. Für die Familie Dutschke – Rudi war verheiratet mit der US-Amerikanerin Gretchen – begann eine Odyssee. Nach Stationen in England landeten sie schließlich im dänischen Aarhus. Dort ertrank der 39-jährige Dutschke 1979 nach einem epileptischen Anfall (Spätfolge des Attentats) an Heiligabend in der Badewanne.

Der Kalender

DIE RHEINPFALZ feiert in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag. In diesem Kalender erinnern wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, jeden Tag an ein besonderes Ereignis oder eine ungewöhnliche Geschichte aus den vergangenen 75 Jahren.

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