Meinung Macron auf den Spuren de Gaulles

Gesprächsbedarf gibt es derzeit zwischen Emmanuel Macron (links) und Olaf Scholz.
Gesprächsbedarf gibt es derzeit zwischen Emmanuel Macron (links) und Olaf Scholz.

Der Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Deutschland könnte eine gute Gelegenheit für Kanzler Olaf Scholz sein, den deutschen Anteil an der Vision des Europas von morgen zu skizzieren.

Die schönen Bilder vom Ehepaar Macron am Brandenburger Tor in Berlin hätte es eigentlich schon vor knapp einem Jahr geben sollen, im Juli 2023. Doch als damals der Tod eines 17-Jährigen bei einer Polizeikontrolle in einem Pariser Vorort landesweite Unruhen auslöste, musste der französische Präsident seinen Staatsbesuch in Deutschland kurzfristig absagen. Nun aber, so versichert der Élysée-Palast, stehe der dreitägigen Visite von Emmanuel Macron und seiner Frau Brigitte beim Nachbarn nichts im Wege. Sie wird eine Gelegenheit sein, um aufzuzeigen, wie wichtig eine gute Verständigung der beiden größten, oftmals verschieden tickenden und dadurch komplementären Länder der EU für deren Vorankommen ist. Eine Verständigung, welche die nationalistischen Kräfte, die gerade in Frankreich stark sind, in Frage stellen. Implizit fordern diese damit ein Ende der manchmal langwierigen, aber alternativlosen Konsensfindung zwischen Paris und Berlin.

Es ist erst der sechste Staatsbesuch eines französischen Präsidenten seit der historischen Deutschland-Reise von Charles de Gaulle 1962, der den Deutschen die Hand reichte und sich in einwandfreiem Deutsch vor allem an die Jugend wandte. Erstmals steht auch ein Abstecher in die frühere DDR an; bei der Visite von François Mitterrand 1989 war die Mauer zwar gefallen, aber Deutschland noch nicht wiedervereinigt.

Rede an die Jugend

Macrons Reise steht zum einen unter dem Zeichen des Gedenkens und der Erinnerung, daher die Besuche beim Demokratiefest zum Jubiläum des deutschen Grundgesetzes und am Holocaust-Mahnmal in Berlin. Zum anderen geht es um zukunftsweisende Projekte etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Wie einst de Gaulle will sich auch Macron bei einer Rede insbesondere an die Jugend wenden. Nicht zuletzt will er auch den politischen Gesprächen Raum geben, mit Treffen des Deutsch-Französischen Ministerrates und des Deutsch-Französischen Sicherheits- und Verteidigungsrates. Gesprächsbedarf gibt es.

Doch braucht es angesichts der bestehenden Verflechtungen durch etliche andere Formate einen pompösen Staatsbesuch? Ja, eben weil es um handfeste politische Initiativen gehen wird und zugleich um ein Bekenntnis zur deutsch-französischen Freundschaft. Oft scheinen die Streitpunkte wie die unterschiedlichen Haltungen zur Atomenergie oder zur Haushaltsdisziplin zu dominieren gegenüber Fortschritten, die beiden Ländern gerade auch in den vergangenen Monaten gelangen, von gemeinsamen Standards bei der Künstlichen Intelligenz bis zur Strommarktreform.

Gelegenheit für Antwort auf Europa-Rede

Auch könnte der Staatsbesuch eine Gelegenheit für eine Antwort der Bundesregierung auf Macrons zweite Europa-Rede in der Sorbonne sein, in der er Ende April die Bedeutung einer demokratischen Verfassung der EU betonte und vor deren Fragilität warnte – zu Recht, angesichts der aktuellen Bedrohungen von außen und von innen. Bundeskanzler Olaf Scholz reagierte zwar mit Applaus. Was aber ist der deutsche Anteil an der Vision des Europas von morgen? Ihn zu skizzieren, dafür gäbe es keinen besseren Ort als Berlin, Dresden und Münster an der Seite des französischen Staatschefs. Und keinen besseren Zeitpunkt als zwei Wochen vor der EU-Wahl.

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