Politik Leitartikel: Verlässlicher Partner

Der Staat Kanada ist 150 Jahre alt geworden.

Jetzt, da der große Bruder USA von einem Präsidenten Trump regiert wird,

ist Kanada für die Europäer als Brücke nach Amerika wichtiger denn je. Kanada wird als Musterland des

friedlichen Zusammenlebens

unzähliger Ethnien gesehen.

Der Nationalfeiertag „Canada Day“ am 1. Juli war in diesem Jahr ein besonderer Feiertag: Der Staat Kanada wurde 150 Jahre alt. Hunderttausende in Ottawa, Toronto und Vancouver feierten die Geburtsstunde in die rot-weiße Ahornblattfahne gehüllt, die Gesichter rot bemalt und Fähnchen schwenkend. Kanada ist ein Land der Weite – mit faszinierenden Landschaften, aber auch mit modernen Städten und einem großen Reichtum an Rohstoffen. Kanadier erfreuen sich generell eines hohen Lebens- und Bildungsstandards. Kanada wird aber auch als Musterland des Multikulturalismus und des friedlichen Zusammenlebens unzähliger Ethnien gesehen. Die Einwanderungspolitik gilt vielen als Vorbild – auch manch deutschem Politiker. Einschließlich der beiden offiziellen Landessprachen Englisch und Französisch werden im Land 200 Sprachen gesprochen. Knapp über 20 Prozent der heutigen Bevölkerung Kanadas wurden außerhalb des Landes geboren, in Städten wie Toronto und Vancouver reicht dieser Anteil an die 50-Prozent-Quote heran. Nach 150 Jahren ist Kanada immer noch ein sich fortentwickelndes soziales Experiment. Dabei ist den Kanadiern bewusst, dass ihr Land nicht immer so tolerant und offen war wie heute. Es gibt dunkle Flecken in der Geschichte – die Internierung japanischstämmiger Einwohner während des Zweiten Weltkriegs beispielsweise. Auch hatten die Ureinwohner Kanadas, die Indianer und Inuit, lange Zeit unter dem Kolonialismus und damit verbundenem Rassismus zu leiden. Die Versöhnung mit den Ureinwohnern ist eine der großen Herausforderungen für das Land. Doch die Risse in der kanadischen Gesellschaft gehen nicht so tief wie jene in dem Staat weiter im Süden, den USA. Gegen die US-Amerikaner haben sich die Kanadier immer abgegrenzt. Dass sich große Gebiete des heutigen Kanada, die einst Kolonien Großbritanniens waren, 1867 zu einem Staat zusammenschlossen, war ja weniger Ausdruck eines Strebens nach Unabhängigkeit von Großbritannien. Dahinter stand eher das Bemühen, sich gemeinsam einem möglichen Expansionsbestreben der USA entgegenzustellen. Heute inszeniert sich Kanada erneut als Gegenentwurf zum großen Bruder. Seit der Wahl des jetzt 45-jährigen liberalen Politikers Justin Trudeau zum Premierminister im Oktober 2015 hat Kanada an Renommee gewonnen. Trudeaus unkonventionelles Auftreten und sein Bekenntnis zu Feminismus, Einwanderung, die Aufnahme von Flüchtlingen und seine Einstellung zu Homosexualität haben ihm und Kanada international viel Aufmerksamkeit und Respekt gebracht. Trudeau gilt als Anti-Trump. Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im Herbst vergangenen Jahres hat ziemlich eindrücklich gezeigt, dass Kanada wirklich anders tickt als sein Nachbar. Eine populistische Bewegung, die auf Fremdenfeindlichkeit und Abschottung setzen könnte, kann zwar auch in Kanada nicht ausgeschlossen werden, sie ist aber nicht in Sicht. Angesichts des unberechenbaren Trump gilt Kanada den Europäern nun als der verlässlichere Partner in Nordamerika. Einer, der auf Offenheit und Kooperation statt auf Isolation und den Bau von Mauern setzt; einer, der nicht polternd vor allem seine eigenen Interessen verfolgt. Mit den Kanadiern gibt es bereits ein umfassendes Freihandelsabkommen, während der Abschluss eines solchen Abkommens mit den USA ungewiss ist. Kurzum: Das 150 Jahre alt gewordene Kanada ist für die Europäer in jüngster Zeit sehr viel wichtiger geworden.

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