Kalender Kinder zeugen ohne Sex

Befruchtung einer Eizelle mit einer Injektionspipette .
Befruchtung einer Eizelle mit einer Injektionspipette .

Wie die Geburt eines 4150 Gramm schweren Jungen vor 38 Jahren vielen kinderlosen Paaren Hoffnung machte. Heute boomt die künstliche Befruchtung. In Rheinland-Pfalz gibt es fünf Kinderwunschzentren.

Oliver kommt per Kaiserschnitt zur Welt: ein kerngesundes Baby, 53 Zentimeter groß und stattliche 4150 Gramm schwer. Doch der kleine Junge ist kein gewöhnliches Baby. Denn Oliver ist das erste Kind in Deutschland, das „in vitro“ –also im Reagenzglas - gezeugt wurde. Seine Geburt weckt Hoffnungen bei Tausenden kinderlos gebliebenen Ehepaaren, entfacht hitzige Debatten unter Theologen.

Sieben Jahre lang hatten Olivers Eltern vergeblich auf Nachwuchs gewartet. Dann begab sich das oberfränkische Paar in die Hände des wissenschaftlichen Teams um Professor Siegfried Trotnow an der Erlanger Uniklinik. Immer wieder hatten die Ärzte an Tieren ein Verfahren zur künstlichen Befruchtung durchgeführt: Mäusen und Kaninchen wurden Eizellen durch die Bauchhöhle entnommen, im Reagenzglas befruchtet und in die Gebärmutter eingesetzt. Doch erst mit der Geburt Olivers am 16. April 1982 wurde das Verfahren auch zum ersten Mal in Deutschland erfolgreich bei Menschen angewandt.

Geburt bei laufenden Kameras

Vier Jahre vor Olivers Geburt wurde in England – bei laufenden Kameras des englischen Fernsehens – Louise Brown , das erste Retortenbaby, geboren. Die künstliche Befruchtung war in den 1950er Jahren von britischen Forschern entwickelt worden. Bei der In-vitro-Fertilisation führt ein Arzt Samenzellen und Eizellen in einem Laborglas zusammen. Die Befruchtung der Eizellen geschieht auf natürlichem Wege. Die befruchteten Eizellen (Embryonen) werden danach in die Gebärmutter der Frau übertragen. Robert Edwards hat dafür, dass bei Schwangerschaften künstlich und erfolgreich nachgeholfen werden kann, 2010 den Nobelpreis für Medizin bekommen.

Die Entwicklungen der Reproduktionsmedizin warfen rechtliche sowie ethische Fragen auf. Von Seiten der Kirchen in Deutschland kam in den 1980er Jahren der Einwand, die künstliche Befruchtung würde die Einheit von Ehe, Zeugung und Geburt zerstören. Unter Medizinern diskutierte man, ob die künstlich gezeugten Embryonen für die Forschung zweckentfremdet werden könnten.

Bundesweit 138 Kinderwunschzentren

Inzwischen ist die künstliche Befruchtung eine gängige Behandlung geworden. Weltweit kamen bislang so mehr als 6,5 Millionen Kinder zur Welt, in Deutschland sind dies rund drei Prozent aller lebend geborenen Kinder.

Schätzungen zufolge ist in Deutschland rund jedes siebte Paar unfreiwillig kinderlos. Hilfe finden Betroffene in bundesweit 138 Kinderwunschzentren, davon fünf in Rheinland-Pfalz. Weil sich viele Paare inzwischen später für Kinder entscheiden, die Fruchtbarkeit aber mit jedem Lebensjahr abnimmt, boomt die künstliche Befruchtung.

Klare Grenzen für Reproduktionsmedizin

Doch in Deutschland hat das 1990 vom Bundestag verabschiedete erste Embryonenschutzgesetz der Reproduktionsmedizin klare Grenzen gesetzt. Untersagt ist: Eizellenspende und Leihmutterschaft. Deshalb versuchen einige Tausend Paare pro Jahr ihren Kinderwunsch im Ausland zu erfüllen.

Und Oliver? Hatte vor 38 Jahren eine Zeitschrift die Print-Exklusivrechte zur Berichterstattung über seine Geburt gekauft, so lehnt der Mann selbst jeden Rummel um seine Person ab.

Der Kalender

DIE RHEINPFALZ feiert 2020 ihren 75. Geburtstag. In unserem Jubiläumskalender erinnern wir jeden Tag an ein besonderes Ereignis oder eine ungewöhnliche Geschichte aus den vergangenen 75 Jahren.
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