Kirche Gedanken zu Weihnachten: Engel fallen vom Himmel

Engel an einer Säule in der Dreifaltigkeitskirche in Speyer, die zwischen 1701 und 1717 erbaut wurde.
Engel an einer Säule in der Dreifaltigkeitskirche in Speyer, die zwischen 1701 und 1717 erbaut wurde.

Alle Jahre wieder sind die Engel los. Sie sind unterwegs in einer unheilen Welt. Eine Zumutung. Für uns alle.

Weihnachten ist eine Zumutung. Auch für Engel. Aus allen Wolken sollen sie fallen. „Fürchtet euch nicht“ sollen sie rufen – über alle fürchterlichen Nachrichten hinweg. Mutmacher sein: Eine Zumutung ist das. Ja, auch für diesen Engel. An einer Säule in der Dreifaltigkeitskirche ist sein Platz. Dabei wirkt er gar nicht abgehoben, eher bodenständig, gut genährt, aber leicht angeschlagen. Als sei er jeden Tag unterwegs in der Stadt. Und das ist er auch.

Ich hab ihn gesehen. Zuerst in der Bank. „Oh, bleiben Sie hier, ich schließe dann erst mal nicht zu“, sagt die Bankangestellte dem Obdachlosen. Er hat sich bei Minusgraden neben dem Bankautomaten in die Ecke gekauert. Ich habe gerade überlegt, wie ich Geld ziehe und ihm schlechten Gewissens zumindest etwas zustecken kann.

Ein besonderes Lachen

Da stöckelt sie aus der Tür neben dem Bankschalter, ich denke, sie wird den Mann vertreiben. Stattdessen ihr „bleiben Sie hier“. Er nickt ungläubig und stumm. Ihr Parfum mischt sich mit dem Geruch von Elend und nassem Schlafsack. Fürchtet euch nicht, hören da die Hirten auf dem Feld.

Dann der Engel in der Klinik. „Es ist echt hart hier“, sagt der Pfleger, „aus Corona wurde nichts gelernt, wir sind wieder überlastet.“ Ich treffe ihn auf der Herzstation. Meiner Tante dort geht es schon besser. Der junge Mann in blau trägt dazu bei. „Trotzdem kann ich mir keinen besseren Job vorstellen“, fährt er fort. Er lächelt, die Tante strahlt: „Er ist ein Engel!“ Ein seltener dazu, denke ich. Wer geht schon noch in diesen Knochenjob. „Klar, mehr Geld würde ich nehmen, aber ich nehm´ auch so vieles mit. Wo treff´ ich sonst so nette Menschen?“, zwinkert er. Meine Tante lacht auf. Und er meint im Gehen: „Dieses Lachen ist für mich wie Weihnachten.“ Ich verkündige euch große Freude, singen da die himmlischen Heerscharen.

Füreinander da sein

Dann war er noch im Theater, der Engel. Dort, wo der sechzehnjährige Junge aus Eritrea mitspielt. Mit dem Schlauchboot übers Mittelmeer geflüchtet, von Lampedusa bis Landau gekommen. „I am saved“, sagt er schüchtern aus schmalem Jungsgesicht, er ist gerettet, seine Eltern ertrunken. Ich kenne ihn über eine Freundin. Seit kurzem im Ruhestand spielt sie Theater. Mit Geflüchteten aus Eritrea, Somalia und jungen Leuten aus der Pfalz. „Es ist schwer“, erzählt sie, „wir haben kaum Worte, die Jungs sind scheu – gerade uns Frauen gegenüber – und Wut haben sie im Bauch. Aber wir lernen voneinander, das Spiel öffnet uns.“ Offen sein, da sein füreinander, Leben retten: Das bedeutet Menschsein.

„I am saved.“ Ich bin gerettet. So soll es sein. Für alle die Armseligen – geflohen übers Meer, geflüchtet vor dem Krieg, frierend in den Häusern, bibbernd im Herzen, zitternd an Körper und Seele – für alle singen die Engel über der armseligen Krippe. Mitten in der unheilen Welt singen sie von der Heiligen Nacht. Und wir singen mit: „Christus, der Retter ist da.“ Und seine Engel sind oft am rechten Platz: immer unterwegs. So wie er. Heute Abend könnten Sie ihn treffen. Auch in der Dreifaltigkeitskirche.

Zur Person

Pfarrerin Mechthild Werner (60) arbeitet im Referat Kommunikation&Presse bei der Evangelischen Kirche der Pfalz, hauptsächlich im Bereich Veranstaltungen und Projekte.

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