Meinung Frankreich: Macron aus der Balance

Präsident Emmanuel Macron fehlt die erforderliche Mehrheit in der Nationalversammlung.
Präsident Emmanuel Macron fehlt die erforderliche Mehrheit in der Nationalversammlung.

Einst wollte Emmanuel Macron in seiner Politik rechte und linke Elemente miteinander vereinen. Das ist ihm nicht gelungen.

Vor gut sieben Jahren zerschoss ein junger Politiker die bis dahin gut geordnete, in rechts und links eingeteilte französische Parteienlandschaft, um etwas ganz Neues vorzuschlagen: die Überwindung der überkommenen ideologischen Spaltungen. Eine pragmatische Politik sollte „sowohl“ rechte „als auch“ linke Elemente miteinander vereinen und dem vorherrschenden Verdruss der Menschen etwas entgegensetzen. Die Sozialisten und die Republikaner, bis dahin stolze Volksparteien, stürzten fast in die Bedeutungslosigkeit ab. Und Emmanuel Macron, im Jahr 2017 noch ein politischer Shooting-Star, kam damals mit seinem Versprechen der Gleichzeitigkeit gut an.

Doch es scheiterte. Krachend. Denn beim Versuch, alle Parteien der Mitte in sein Boot zu holen, machte er es keiner von ihnen recht. Das wurde am Dienstagabend nicht zum ersten Mal, aber brutaler denn je deutlich, als das Parlament final über die Zukunft des Einwanderungsgesetzes abstimmte. Während sich die Abgeordneten des linken Spektrums sowie ein Teil der Präsidentenpartei enthielten und der Gesundheitsminister Aurélien Rousseau noch in der Nacht seinen Rücktritt einreichte, weil dieses restriktive Gesetz für ihn „die Grundmauern“ erschüttere, stimmten die bürgerliche und die extreme Rechte dafür.

Macrons Kuhhandel

Die Republikaner hatten die Zuwanderungsregeln in einem tagelangen Pokerspiel derart verschärft, dass sich der rechtsextreme Rassemblement National (RN) über seinen „ideologischen Sieg“ freuen durfte. Was für ein Dammbruch. Maßnahmen wie die Erleichterung der Abschieberegeln und die Einschränkung von Sozialleistungen für Ausländer, deren Erhalt an Bedingungen geknüpft wird, finden sich seit Jahrzehnten im RN-Wahlprogramm. Sie brechen mit einem Minimum an sozialem Schutz für alle Menschen im Land als Grundwert, der in der Präambel der französischen Verfassung festgelegt ist.

Um das Gesicht nicht zu verlieren, ließ sich Macron auf den rechten Kuhhandel ein. Seit er bei den Parlamentswahlen 2022 die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verlor, braucht er Stimmen aus der Opposition. Diese ist aber zu keinen Zugeständnissen bereit. Die Abgeordneten ließen ihn auflaufen, indem sie in der vergangenen Woche noch vor Beginn der Debatten fast geschlossen gegen das Gesetz stimmten. Die Ohrfeige für Macron und seinen Innenminister Gérald Darmanin war schallend.

Längst wird über Neuwahlen diskutiert

Am Dienstagabend sammelten sie zwar das rechte politische Lager hinter sich, könnten aber einen Teil der Mitte verlieren. Davon abgesehen muss erst geprüft werden, ob der Verfassungsrat den Text überhaupt durchgehen lässt. Es handelte sich schon um das zweite Psychodrama in diesem Jahr nach den hoch emotionalen Debatten um eine Rentenreform im Frühjahr, die die Regierung mangels Mehrheit im Parlament schließlich verordnete. Auch damals stand Macrons Reformer-Ruf auf dem Spiel. Er brachte beide Projekte durch, aber zu einem hohen Preis. Nun steht er mit dem Rücken zur Wand. Längst wird nicht mehr die Frage diskutiert, ob, sondern wann der Präsident die Nationalversammlung auflöst und Neuwahlen ausruft. Das Problem: Die Verhältnisse dürften dadurch kaum klarer und vor allem eine Partei dürfte gestärkt werden – Le Pens RN.

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