Politik Ein Niederbayer will Topjob der EU

Dieser Bayer ist in Brüssel und Straßburg bekannter als in Deutschland. Am Ende könnte es sein, dass sich dieser Umstand für den CSU-Politiker Manfred Weber bei seiner Bewerbung für den Topjob in Europa nicht als Makel herausstellen wird. Wenn es darum geht, die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker anzutreten, setzt der 46-Jährige geradezu darauf, dass sein Ruf, den er sich als Chef der größten Fraktion im Europaparlament in den vergangenen vier Jahren erworben hat, zu seinem größten Kapital wird. In hellbraunem Anzug tritt der Niederbayer gestern in Brüssel vor die Kameras. Gerade hat er vor der 218 Abgeordnete aus ganz Europa zählenden Fraktion der christdemokratischen Parteienfamilie seine Kandidatur erklärt. Leicht gebräunt und mit einem Anflug eines stolzen Lächelns über den hohen Zuspruch, den ihm seine Fraktion eben gezollt hat, rückt er in den Vordergrund, was er am besten kann. Er sei ein „Brückenbauer“, sagt er in einem Englisch, das trotz seiner 14 Jahre auf dem EU-Parkett noch sehr bayerisch klingt. Es stimmt: Weber, ein in seinen Überzeugungen zutiefst liberaler CSUler, ist eine integrative Figur. In seiner Fraktion, wo Abgeordnete aus der Fidesz des ungarischen Rechtspopulisten Viktor Orbán ebenso sitzen wie moderne niederländische Christdemokraten, schafft er es immer wieder Kompromisse zu schmieden und unterschiedliche Positionen zusammenzubringen. Weber, ein gelernter Ingenieur, der als junger Mann nach kurzer Zeit im bayerischen Landtag nach Europa wechselte, kündigt bei dieser ersten öffentlichen Bewerbungsrede für den Chefposten der einflussreichen EU-Kommission an, für ein „besseres und ehrgeizigeres Europa“ zu kämpfen. Er erteilt einer Zersplitterung Europas in Norden und Süden, Reich und Arm eine Absage. Es gehe darum, Europa zusammenzuhalten. Die EU werde herausgefordert von äußeren und von inneren Gegnern. US-Präsident Donald Trump und der russische Staatschef Wladimir Putin stellen eine äußere Bedrohung dar. Die rechts- und linkspopulistischen Bewegungen in vielen Mitgliedsländern legen im Innern die Axt an Europa. Weber hat Ehrgeiz: Er will an die Spitze der 30.000 Beamte umfassenden Kommission kommen und das Kollegium von 27 Kommissaren anführen. Die Kommission ist so etwas wie die Regierung der EU, weil sie Gesetzentwürfe ausarbeitet und überwacht, ob sich die Mitgliedstaaten an die Regeln halten. Es wäre das erste Mal seit den 1960er Jahren, dass ein Deutscher an ihre Spitze kommt, damals war es Walter Hallstein. Doch so weit ist es noch lange nicht: Weber hat jetzt erst einmal seinen Hut für die Spitzenkandidatur der christdemokratischen Parteienfamilie EVP bei den Europawahlen im Mai in den Ring geworfen. Es wird aber mit weiteren Kandidaten gerechnet. Auch der frühere finnische Ministerpräsident Alexander Stubb hat Interesse. So muss sich Weber wohl am 7. November in Helsinki, wenn die EVP ihren Kandidaten nominiert, in einer Kampfkandidatur durchsetzen. Dann muss er mit der EVP das stärkste Ergebnis aller Parteienfamilien bei der Europawahl einfahren. Die Umfragen deuten zwar darauf hin, dass die Christdemokraten auch 2019 stärkste Kraft werden. Doch damit wäre Weber noch nicht Kommissionspräsident. Die Verträge sehen vor, dass die Staats- und Regierungschefs einen Kandidaten vorschlagen, der vom Europaparlament gewählt werden muss. Ob der CSU-Politiker dort eine Mehrheit findet, ist ungewiss. Webers Trumpf mag seine breite Verankerung im Europaparlament sein. Sein Manko ist die fehlende Regierungserfahrung. Vor ihm bewarben sich meist ehemalige Regierungschefs auf den Job. In Webers Umfeld heißt es dazu, Junckers Vorgänger José Manuel Barroso habe zwar eine Regierung geleitet, dafür aber bei Amtsantritt nicht gewusst, wie Rumänen oder Zyprioten tickten. Bei Weber ist das anders. In Europa kennt er sich aus, er hat ein belastbares Netzwerk, allein in diesem Jahr wurde er von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sowie von Großbritanniens Premierministerin Theresa May zum Austausch eingeladen. Auf EU- und Nato-Parkett werden in nächster Zeit gleich eine ganze Reihe von Neubesetzungen fällig. 2019 geht EU-Ratspräsident Donald Tusk, der den Rat, das Gremium der Mitgliedstaaten, leitet. Nach den Europawahlen wird zudem ein neuer Präsident des Europaparlaments gewählt. Auch die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) muss neu besetzt werden, wenn Mario Draghi den Posten verlässt. 2020 geht die zweite Amtszeit von Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär zu Ende. Aus Deutschland hat sich nicht nur Weber Chancen auf einen dieser Posten ausgerechnet. Ursula von der Leyen (CDU) wird Interesse sowohl am Posten des EU-Kommissionspräsidenten als auch an dem des Nato-Generalsekretärs nachgesagt. Der Kanzlerinnenvertraute Peter Altmaier (CDU), ein polyglotter ehemaliger EU-Kommissionsbeamter, würde wohl ebenfalls gern Juncker beerben. Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat Ambitionen, erster Deutscher auf dem Chefposten der EZB zu werden. Die Deutschen hatten bisher oft Hemmungen, nach den Spitzenpositionen in der EU zu greifen. Sie befürchten, dass dies die im EU-Betrieb ohnehin verbreitete Mäkelei an der Dominanz des größten Mitgliedslandes noch vergrößern würde. Klar ist, dass für Deutschland höchstens einer der Spitzenjobs herausspringt. Umso erstaunlicher finden viele, dass Angela Merkel sich für Weber, einen CSU-Mann, als Kandidaten für den Topjob in der Kommission entschieden hat. Tatsächlich kann sich die Kanzlerin aber wohl keinen besseren Bewerber vorstellen. Politisch ist er ihr nah mit seinem besonnenen Stil. Andererseits ist das Verhältnis zu Weber nicht so eng, als dass sie ihn nicht opfern könnte, wenn er bei den Kungelrunden um die vielen freien Jobs in Europa doch nicht durchsetzbar sein sollte.

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