Tod von Benedikt XVI. Der emeritierte Papst und der Missbrauchsskandal

Kritiker protestierten gegen den Umgang des emeritierten Papstes mit dem Thema Missbrauch.
Kritiker protestierten gegen den Umgang des emeritierten Papstes mit dem Thema Missbrauch.

Der emeritierte Papst hatte seinen letzten Atemzug noch nicht getan, da lebte in den sozialen Medien die Debatte über seine Rolle im Missbrauchsskandal erneut auf.

De mortuis nil nisi bene, besagt ein altes lateinisches Sprichwort. Oft wird es so verstanden, als dürfe über Tote nur Positives gesagt werden. Der verstorbene emeritierte Papst Benedikt XVI. hat indes als Theologe und Kirchenoberhaupt Bewunderer ebenso wie Kritiker auf den Plan gerufen und damit auch im Tod polarisiert wie nur wenige. Umstritten ist auch seine Rolle im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche.

Es war der Passauer Bischof Stefan Oster, der das in seinem Nachruf thematisierte: „Wir verlieren einen Mann, der in den letzten Jahren seines Lebens noch sehen musste und auch eingestanden hat, als Erzbischof von München und Freising Betroffene von sexuellem Missbrauch in der Kirche zu wenig im Blick gehabt zu haben. Wir verlieren aber auch einen Mann, der als Präfekt der Glaubenskongregation entscheidend dazu beigetragen hat, dass das Problem des Missbrauchs in der Kirche in seiner ganzen Dramatik erkannt wurde und der deshalb wesentliche Veränderungen angestoßen hat.“

Verpflichtende Meldung nach Rom

Damit spielte Oster auf die Zeit um die Jahrtausendwende an. Damals sorgte Kardinal Ratzinger dafür, dass alle Fälle von Klerikern, die Minderjährige sexuell missbraucht hatten, nicht mehr bloß im eigenen Bistum oder im eigenen Orden „geregelt“ wurden, sondern nach Rom an eine spezielle Abteilung der Glaubenskongregation gemeldet werden mussten. Das Schreiben über die „delicta graviora“, das die neuen Vorschriften enthielt, wurde 2001 zunächst nur in lateinischer Sprache veröffentlicht, um das Aufsehen gering zu halten. Doch als bald darauf erst in den USA und später auch in anderen Ländern die Berichte über Missbrauchsfälle förmlich explodierten, erlebte es seine erste Bewährungsprobe.

Entscheidend war einerseits die Verlängerung der Verjährungsfristen. So wurde es möglich, auch in Fällen zu ermitteln, die mehr als zehn Jahre zurücklagen. Später wurden diese Fristen noch zweimal verlängert, aber den entscheidenden Schritt hatte Ratzinger 2001 gemacht. Das andere war die verpflichtende Meldung nach Rom. Das war das Ende des vor Ort gerne praktizierten „Unter-den- Teppich-Kehrens“. Denn in den Bistümern kannten sich die Täter und ihre kirchenrechtlichen Richter oft nur zu gut; strenge Verfahren und Verurteilungen waren da eher die Ausnahme. Das änderte sich nun. Seither wurden Jahr für Jahr mehrere hundert Priester aus dem Klerikerstand entlassen und erhielten damit die vom Kirchenrecht vorgesehene Höchststrafe für ihre Verbrechen.

Dokumentation als Generalabrechnung

Als Behördenchef wusste Ratzinger nun besser als irgendjemand sonst, welches Ausmaß der Skandal weltweit hatte. Als Papst verschärfte er die Vorschriften im Jahr 2010 abermals und verlängerte die Verjährungsfrist erneut.

Im April 2019 wartete dann der inzwischen im Ruhestand befindliche Benedikt XVI. mit einer Art Besinnungsaufsatz zur Missbrauchskrise auf. Die Wortmeldung wurde in ihrer Rezeption darauf reduziert, dass Benedikt XVI. im Einfluss der 68er-Bewegung auf Gesellschaft, Kirche und Theologie eine Hauptursache für das Missbrauchsproblem ausmachte. Als es heftigen Widerspruch gab, fühlte er sich missverstanden.

Eine Generalabrechnung präsentierte wenige Wochen später der Filmemacher Christoph Röhl. Er zeichnete in der Dokumentation „Verteidiger des Glaubens“ den Pontifex aus Bayern als tragische Figur: Er habe die Institution Kirche retten wollen und dabei das Leid der Opfer ausgeblendet. Die These wurde kontrovers aufgenommen. Die Deutsche Bischofskonferenz bescheinigte Röhl ein „stark verzerrtes Bild“ von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.

Gutachten wirft Benedikt Fehler vor

Zwei Jahre später veröffentlichte Röhl mit der einstigen Ordensfrau und Betroffenen Doris Reisinger als Co-Autorin ein Buch zum selben Thema. Beide sehen in Ratzinger einen zögerlichen Saubermann, der zu spät und nicht hinreichend auf die Missbrauchsberichte reagiert habe. Hinter dem Missmanagement stehe zudem ein regelrechtes „System Ratzinger“, er sei einer der Hauptschuldigen an der Misere.

Im Januar 2022 hieß es in einem von der Erzdiözese München und Freising beauftragten Missbrauchsgutachten, dass Ratzinger als Münchner Erzbischof im Umgang mit vier Priestern unter Missbrauchsverdacht Fehler gemacht habe. Benedikt XVI. ließ diese Darstellung zurückweisen. Ein Entschuldigungsbrief konnte insbesondere Betroffene nicht überzeugen, vor allem, weil der Emeritus kaum Worte für seine persönliche Verantwortung fand.

Zivilklage eines Missbrauchsopfers

Es folgte eine wochenlange Debatte, in der seine Unterstützer behaupteten, dass er seinerzeit keinerlei Wissen von den Vorwürfen gehabt habe und an Personalentscheidungen nicht beteiligt gewesen sei. Doch blieben Zweifel an dieser Darstellung.

Im März hätte sich erstmals ein deutsches Gericht mit der Rolle Benedikts im Missbrauchsskandal befassen sollen. Vor dem Landgericht Traunstein sollte eine Zivilklage verhandelt werden. Ein mutmaßliches Missbrauchsopfer aus Garching an der Alz wollte gerichtlich feststellen lassen, ob der einstige Münchner Erzbischof und andere Verantwortliche nicht doch haftbar zu machen sind für ihr Tun oder Unterlassen im Umgang mit Tätern.

Zumindest was den Verstorbenen betrifft, wird das Verfahren nun eingestellt, „da wir nicht das Jüngste Gericht sind“, wie eine Gerichtssprecherin mitteilte.

Lesen Sie hier einen Nachruf auf Benedikt XVI.

x