Meinung Assange und Nawalny: Tödliche Doppelmoral

„Don’t shoot the Messenger“: Proteste gegen die Auslieferung von Julian Assange.
»Don’t shoot the Messenger«: Proteste gegen die Auslieferung von Julian Assange.

Die Empörung über den Tod des Kremlkritikers Nawalny ist verständlich, richtig und wichtig. Was zugleich aber verwundert: Das achselzuckende Schweigen zum Schicksal des Wikileaks-Gründers Assange.

Schon klar: Auf den ersten Blick mag es absurd, zynisch, empörend und fernab jeglicher Realität erscheinen, die Schicksale von Alexej Nawalny und Julian Assange miteinander zu vergleichen oder auch nur in Bezug zueinander zu setzen. Und eines ist ja wahr: Während das Staats- und Justizsystem in Russland willfähriger Diener einer brutalen Ein-Mann-Diktatur ist, die auch vor Folter und Morden nicht zurückschreckt, existiert in den USA und Großbritannien grundsätzlich ein funktionierender Rechtsstaat: mit der Möglichkeit, ein Urteil anzufechten, mit menschenrechtlich sauberen Standards und mit der Möglichkeit, gegen Entscheidungen des Staates zu demonstrieren und zu protestieren.

Insoweit liegen zwischen der Causa Nawalny und der Causa Assange tatsächlich Abgründe – die sich aber rasch verkleinern, besieht man sich genauer die persönlichen Umstände der beiden Fälle und die Geisteshaltung, die hinter den Gerichtsverfahren steht. Während Nawalny jahrelang in einem russischen Straflager schmachtete, sitzt Assange seit Jahren unter beschämenden Bedingungen in einem Londoner Hochsicherheitsgefängnis.

Es stinkt nach politischer Rache

Sowohl die Angehörigen des Russen als auch die Ehefrau des Australiers sorgten sich um die körperliche Unversehrtheit ihrer Lieben; bei Nawalny haben sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet, und etliche Freunde Assanges warnen davor, dass der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks eine Auslieferung an die Vereinigten Staaten – dort drohen ihm 175 Jahre Haft – nicht überleben werde. Sein Gesundheitszustand sei aufgrund der Haftbedingungen schon jetzt kritisch, weshalb er am Dienstag und Mittwoch auch nicht persönlich in London vor Gericht erscheinen konnte, um sich gegen eine Auslieferung an die USA zu wehren.

Unheimliche Parallelen werden vollends sichtbar, blickt man auf die angeblichen „Vergehen“ der beiden Männer und die zornige Reaktion der beiden so unterschiedlichen Staaten, die auch im Fall der USA nach politischer Rache stinkt: Nawalny wie Assange stellten den Bürgern im Internet Dokumente und Videos zur Verfügung, die Dinge transparent machten, welche die Staatsmacht unbedingt geheimhalten wollte. Im einen Fall waren es Aufnahmen eines offenbar mit veruntreutem Geld erbauten gigantischen Putin-Palasts am Schwarzen Meer, die Nawalny auf Youtube zeigte. Im anderen Fall ein Video aus dem Irak, das Assange auf Wikileaks veröffentlichte, das zeigt, wie US-Soldaten aus einem Kampfhubschrauber auf Zivilisten schießen wie auf Hasen und dies mit zynischen Kommentaren belegen.

Wo bleibt die angeblich wertegeleitete Außenpolitik?

So etwas sollen wir nach dem Willen der Regierenden nicht sehen und nicht wissen, nicht in Russland, nicht in Amerika, nirgendwo auf der Welt. Klar sollte aber sein: Es ist unser gutes Recht, das zu sehen und zu wissen. Wir sind keine Untertanen, die man mit offiziellen Mitteilungen abspeist, sondern freie Bürger, die ein Recht auf alle Informationen haben. Dafür haben Alexej Nawalny und Julian Assange gesorgt.

Wer Nawalny den Status eines Helden und Märtyrers verleiht, kann nicht wie die deutsche Regierung mit ihrer angeblich wertebasierten Außenpolitik achselzuckend schweigen, sollte Assange in einem amerikanischen Knast landen.

x