Weinwissen Ist Naturwein der bessere Wein?

Ist Naturwein nur eine kurzlebige Bewegung, ein Trend, oder eine gesunde Entwicklung in der Weinbereitung, weg von zu vielen Zusatzstoffen, die im Wein nichts zu suchen haben? Ein Gespräch mit Ulrich Fischer vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz, der auch Professor für Önologie und Sensorik am Weincampus in Neustadt ist, schafft Klarheit:
Was ist Naturwein?
Es gibt noch keine klare Definition oder einen geschützten Begriff Naturwein. Das würde auch nicht viel Sinn machen, da ja auch ein klassisch zubereiteter Wein ein Naturprodukt ist. Wein pur oder wie die Franzosen ihn bezeichnen „Sans Sulfit“, also ohne Einsatz von Schwefel, würde da schon eher passen. Grundsätzlich kommen die Trauben für einen Naturwein meist aus ökologischer oder biodynamischer Bewirtschaftung. Im Weinausbau gilt ein „Zurück zu den Wurzeln“, bei dem nach der Pressung dem Most oder Wein nichts mehr zur Klärung oder für einen gezielten Gärungsprozess hinzugefügt wird. Das bedarf einer großen Kompetenz im Weinkeller und vor allen Dingen guter Trauben und viel Zeit.
Was ist der Unterschied zum Biowein?
Ein Naturwein ist ein Wein, der mit so wenigen Eingriffen wie möglich hergestellt wird. Das heißt: handverlesen, ungeschwefelt, spontanvergoren (Vergärung mit den natürlich vorkommenden Hefen auf den Trauben oder im Keller) und unfiltriert. Der Naturwein hat tendenziell auch einen niedrigeren Alkoholgehalt, da der Alkohol nicht durch Zuckerzusatz im Most erhöht wird. Da Naturwein nicht filtriert wird, ist er meist etwas trüb. Ein Wein darf sich nur Biowein beziehungsweise „Wein aus biologischer Landwirtschaft“ nennen, wenn das zugehörige Weingut offiziell zertifiziert und der Wein nach der EU-Bioverordnung produziert wurde.
Die Weintrauben stammen aus kontrolliert ökologischem Anbau, bei dem mit Kupfer und Schwefel statt mit synthetischen Pflanzenschutzmitteln gearbeitet wird und Mineraldünger nicht erlaubt sind. Die Reben werden mit biologischem Kompost gedüngt und der Boden zwischen ihnen wird begrünt, das bringt Leben in den Boden und fördert die Biodiversität. Der Prozess der Weinherstellung selbst unterscheidet sich nicht sehr von der Herstellung konventioneller Weine. Allerdings dürfen einige Behandlungsmittel nicht eingesetzt werden, aber grundsätzlich sind Schönungen, die den Geschmack beeinflussen, erlaubt – im Gegensatz zu Naturweinen, bei denen jeder Eingriff unerwünscht ist. Aufgrund der strengen Qualitätsweinprüfung, werden die meisten Naturweine in Deutschland als Landwein vermarktet, bei dem eine sensorische Prüfung entfällt.
Ist Naturwein der Wein der Zukunft oder ein kurzlebiger Trend?
Auch wenn die Nachfrage nach Naturweinen deutlich hoch geht, es in Großstädten schon Bars gibt, in denen ausschließlich Naturweine ausgeschenkt werden, und es für den „natural wine“ oder „orange wine“ bereits eine weltweite Szene gibt, würde ich den Naturwein bei uns eher als ein profitables Nischenprodukt einstufen. In den vergangenen Jahren wurden bei der Produktion von Naturwein aber viele positive Erfahrungen gesammelt, und es gibt da inzwischen sehr gute Produkte. In Deutschland wurde diese Bewegung meines Erachtens allerdings etwas verschlafen, anders in Frankreich, wo der „Sans Sulfit“ bereits ein offizieller, von den Behörden genehmigter, Bestandteil des Weinangebots ist. Für einen Wein der Zukunft ist er im Endprodukt allerdings etwas teuer und auch ein anderer Typ von Wein. Ich sehe ihn eher als eine kulturelle Bereicherung des bestehendes Weinangebots, nicht als eine stilistische Trendwende.
Kann man beim Naturwein die Rebsorten und das Terroir besser ausarbeiten und schmecken?
Entgegen der landläufigen Annahme ist die Sortenausprägung beim Naturwein nicht so intensiv. Ohne Zugabe von Schwefel, schmeckt der Wein etwas karamellig oder wie Brotkruste in Richtung Champagner. Terroir und Rebsorte werden sogar leicht überdeckt. Zudem eignet sich auch nicht jeder Wein zum Naturwein. Ein Sauvignon blanc etwa eignet sich gut als Naturwein. Der Bio-Spitzenwinzer Bernhard Ott aus Österreich, ein großer Vorreiter der Szene, produzierte einen Wein, den er nach der georgischen Amphore, der sogenannten Qvevri, benannt hat. Die Beeren werden entrappt (die Trauben vom Traubengerüst entfernt) und händisch sortiert, bevor sie ungequetscht in die Ton-Amphoren kommen, die im Boden vergraben sind. Die Gärung setzt so innerhalb der noch intakten Beeren ein und Tannin sowie Aromastoffe werden sanft extrahiert. Sechs Monate später sind die Schalen und Kerne auf den spitzen Boden der Amphore gesunken. Nur der mehr oder minder klare Wein wird entnommen. Doch selbst Ott geht wieder zurück zum klassischen Weinanbau mit Prägung durch verschiedene Lagen, weg von der „Gleichmacherei“ der maischevergorenen Naturweine und zurück zur Sorten- und Terroir-Vielfalt. Der Naturweinausbau macht daher nur noch zwei Prozent in seinem Portfolio aus.
Ist Naturwein der bessere Wein?
Am Ende muss ein Wein schmecken. Und grundsätzlich steckt in der Traube ja schon alles drin, was man für einen guten Wein benötigt. Ein Naturwein, jetzt mal verglichen mit Gemüse, wäre ohne Salz und Gewürze gedünstet. Die Karotte würde pur nach Karotte schmecken, ohne jegliche Verfeinerung, die in der heutigen Küche ja zur Verfügung steht. Also nein, rein geschmacklich ist es für mich nicht der bessere Wein, aber eine sehr willkommene Ergänzung zu dem klassischen Weinangebot. Und es ist absolut erstrebenswert, so wenig wie möglich im Keller einzugreifen, so wie eine präventive Gesundheitsvorsorge besser ist, als mit Medikamenten heilen zu müssen. Die Umwandlung des Naturproduktes Traube zum Kulturgut Wein sollte wieder mit einem Minimum an Eingriffen möglich sein, was aufgrund gut ausgereifter Trauben besser gelingt als noch vor 20 Jahren.
Eine seriöse Weinbereitung ist für mich daher geleitet von dem Selbstbewusstsein, dass die entscheidenden Qualitätsvoraussetzungen im Weinberg geschaffen werden. Dafür bedarf es des „kontrollierten Nichtstuns statt des blinden Aktionismus im Keller“, wie schon Winzerikone Hans-Günter Schwarz zu sagen pflegte. Ziel der Weinbereitung sollte letztlich mehr Authentizität im Wein sein, die vom Weinberg, der Rebsorte und bestimmter Weinstile geprägt wird.
Zur Person
Ulrich Fischer ist promovierter Professor für Önologie und Sensorik am Weincampus Neustadt, einer gemeinsamen wissenschaftlichen Einrichtung dreier Hochschulen und dem DLR Rheinpfalz. Er ist auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Forschungskreises der Ernährungsindustrie. Das Weinmagazin Vinum kürte Fischer 2022 erneut zu einer der 25 wichtigsten Weinpersönlichkeiten Deutschlands.

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