Zweibrücken Die Autorin Monika Rinck als Offenbach-Anarchistin

Monika Rinck
Monika Rinck

In einem Radio-Interview hatte sie sich kürzlich bereits als Jacques-Offenbach-Fans geoutet, nun kann man nachlesen, wie sich das konkret äußert. In der neuen Ausgabe der Pfälzer Literaturzeitschrift „Chaussee“ wird die Zweibrücker Autorin Monika Rinck sogar als „Operetten-Anarchistin“ angekündigt. Sie erzählt, wie sie Teil einer Offenbach-Gemüse-Operetten-Aufführung wurde.

„Ich trage eine Stola aus Staudensellerie, die ich am Nachmittag zusammengenäht habe und führe durch das Operettengeschehen“, beginnt Monika Rinck. Leider fehlt das zugehörige Foto. Die wenige bekannte Offenbach-Operette „Roi Carotte“ wurde zum 200. Geburtstag des Komponisten im September in der Berliner Villa Elisabeth aufgeführt. Rinck, mit dem auch in Berlin lebenden Bruder Stefan und der aus Zweibrücken angereisten Mutter Ute im Saal - den Dackel als Diva einzuschmuggeln misslang, wie die Autorin bedauert - sang auch mit, wie alle. „Also fuchtelten wir in der Luft und sangen dann, mit allen: Karotte – rotte – rotte - rotte. Immer und immer wieder, und immer schneller.“

Es ist der Auftakt zu einer kunstvollen Gedankentour, was Operette ist – und was heute im allgemeinen Unterhaltungsbetrieb in Vergessenheit geraten ist. So zitiert Rinck den Geschichtsphilosophen Siegfried Kracauer, der zur Operette in Paris, wo Offenbach lebte, meinte: „Wie immer doppeldeutig, hatte sie unter der Diktatur die revolutionäre Funktion erfüllt, das Autoritätsprinzip und die Korruption zu geißeln und ein von jedem schlechten Zwang befreites Sein vorzugaukeln.“ In besagter Operette stürzt die Hexe Coloquint im Staat Krokodyne den vergnügungssüchtigen König Fridolin mit einem Heer von Radieschen (aus den königlichen Gemüsebeeten) und König Karotte und errichtet ein Unrechtsregime. Die Zeit der Prüfung und Entbehrung soll Fridolin Maß und Demut lehren. Es ist offenbar keine Kinderoperette, sondern eine für Erwachsene. Karl Kraus verfasste 350 Zusatzstrophen. Das macht Monika Rinck auch, aber es sind nur 80. Ein Essay in Strophenform über das, was Operette sein kann, Operette bei Offenbach, wohlgemerkt, nicht überall. Wild und humorvoll bewegt sie sich zwischen Träumen von luftigem Rührei, Fluglotsen, dem TAB-Generator fürs Bezahlen, deinem Sonderforschungsborschtsch und einem Dildo. Denn: „Ich finde manchmal Dinge und unterdrücke die Tränen/und sie fluten, fluten, fluten alle Organe. Die Lunge auch.“ Und am Ende singt König Karotte in einer blauen Biotonne in sich zusammen. Man bekommt richtig Lust, sich diese Operette einmal anzusehen.

Rincks Essay, eine Erstveröffentlichung, ist das Cremeschnittchen im „Chaussee“-Themenheft Musik. Aber nicht der einzige Beitrag eines Zweibrücker Autors. In einem minimalistischen Zehnzeiler bringt Michael Dillinger das Wesen einer ganz besondren „Singstunde“ (Titel) auf den Punkt: „Zersing / dein Glashaus / bevor / die Haut aufplatzt / die Augen schmelzen / die Lippen verdorren. / Vom Licht spring über / die Klinge des Horizonts und / wirf den Sein auf alle / die dir jetzt noch folgen.“ Das klingt doch fast schon so subversiv wie bei Rinck.

Dagegen wirkt der Zweibrücker Pfalzpreisträger für Literatur 2019, Norman Ohler, in dem angedruckten Interview sehr brav und formell, aber wohl ehrlich, wenn er sagt: „Ich habe die Stadt Zweibrücken manchmal als provinziell empfunden, als bedrückend – auch wenn ich sie heute mag.“ Der 50-Jährige verrät, dass er an einem Roman über das Jahr 2015/16 schreibt und bekennt: „Das bin ich geworden: ein Bildungsbürger, eine aussterbende Spezies.“

Lesezeichen

Bezirksverband Pfalz: „Chaussee 44/2020 – Pa-la-tina/Musik 2“, 152 Seiten, 7,50 Euro. Erhältlich beim Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde des Bezirksverbands Pfalz, E-Mail: info@institut.bv-pfalz.de, www.bv-pfalz.de.
Das Cover zeigt die Pfälzische Kurrende und das Rennquintett.
Das Cover zeigt die Pfälzische Kurrende und das Rennquintett.
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