Rhein-Pfalz Kreis „Irgendwann fällt die Fassade um“

KLEINNIEDESHEIM. Wenn man in der Großniedesheimer Straße in Kleinniedesheim am Tor von Michael Lehrers Haus auf Einlass wartet, sollte man seinen Allerwertesten einziehen, sonst wird er einem womöglich abgefahren. Personen- und Lastwagen, Traktoren und Busse rauschen gefühlt in Hochgeschwindigkeit – 50 Stundenkilometer sind erlaubt – an einem vorbei. Einen Gehweg gibt es auf dieser Straßenseite nicht. Noch beängstigender ist die Situation, wenn man vom Hof des rund 200 Jahre alten Anwesens wieder hinaus will. „Die Autofahrer rechnen nicht mit Fußgängern“, warnt Michael Lehrer und erzählt, wie man ihm vor drei Jahren beim Hinaustreten auf die Straße seinen jungen Hund „plattgefahren“ hat. Der 54-Jährige hat noch mehr erschreckende Berichte auf Lager. Demolierte Dachrinnen und zu Schrott gefahrene Autos, die auf der Straße geparkt waren. Fenster, die morgens geputzt werden und abends wieder dreckig sind. Verkehrslärm, den man ohne Schallschutzfenster nicht ertragen kann. Hupkonzerte, wenn Anwohner nicht schnell genug vom oder in ihren Hof fahren. Bürger, die sich aus Angst, überfahren zu werden, nicht mehr trauen, vor ihrem Haus zu kehren. Erschütterungen, die das Geschirr im Schrank klirren lassen. Und Risse an den Hausfassaden. Zusammengetragen hat Michael Lehrer das alles nach einer schriftlichen Umfrage, bei der 35 Bewohner der Großniedesheimer Straße mitgemacht haben. Sie alle leiden unter dem Verkehr auf der engen Achse zwischen Grünstadt, Offstein, Worms und Bobenheim-Roxheim in dem ansonsten beschaulichen Dorf. Vor etwa fünf Jahren hat Michael Lehrer angefangen, die Situation zu thematisieren. Damals, als er den Bürgerbeauftragten des Landes kontaktierte, ging es konkret um die Straßenabsenkung vor seinem Haus Nummer 9, aufgrund der sich eine etwa 70 Zentimeter breite Kuhle gebildet habe, erzählt Lehrer. Wenn schwere Fahrzeuge darüber fuhren, wackelten bei ihm die Wände. Repariert wurde das allerdings erst im Frühjahr 2015, nachdem Lehrer dem CDU-Landtagsabgeordneten Christian Baldauf sein Leid über die Erschütterungen geklagt hatte. Wenn man das Flickwerk heute betrachtet, wundert man sich nicht, dass Lehrers Wände immer noch wackeln. Seine Vorschläge für Verbesserungen lauten: „Tempo 30 einrichten, den Maut prellenden Schwerlastverkehr rausholen und Schikanen am Ortseingang einbauen, damit aus Richtung Großniedesheim nicht so schnell in den Ort gefahren wird.“ Viel ausgerichtet hat der 54-Jährige seitdem nicht, auch weil die Großniedesheimer Straße als L 456 dem Land gehört, wie Orts- und Verbandsgemeinde gern betonen. Deren Bürgermeister Ewald Merkel (FWG) und Michael Reith (SPD) weisen zum Beispiel darauf hin, dass der Landesbetrieb Mobilität (LBM) bei der Planung des Radwegs zwischen Groß- und Kleinniedesheim den Wunsch nach einem verkehrsberuhigenden Fahrbahnteiler aus Kostengründen abgelehnt habe. „Wir würden auch Tempo 70 vor dem Ortsschild begrüßen, aber das müsste kontrolliert werden“, sagt Merkel. Der Verkehr nehme halt allgemein zu, unter anderem weil jeder Haushalt zwei bis drei Autos besitze und so viele online bestellte Sachen ausgeliefert würden. Seit die ausgefüllten Fragebögen vorliegen, Christian Baldauf an den damaligen Verkehrsminister geschrieben hat und die RHEINPFALZ in der Sache recherchiert, scheint sich etwas zu bewegen. Vielleicht deshalb, weil das Ministerium deutlich gemacht hat, dass im innerörtlichen Bereich von Bundes-, Landes- und Kreisstraßen die jeweilige Orts- und Verbandsgemeinde verkehrsrechtlich zuständig ist und Initiativen für Verbesserungen entwickeln muss. Wie VG-Bürgermeister Reith auf Anfrage mitteilt, haben sich Verwaltung, Polizei und LBM Anfang Mai besprochen. Das Ergebnis: Über die optische Gestaltung des Straßenraums soll eine Verkehrsberuhigung erzielt werden. Konkret heißt das: verengend wirkende Markierungen und Tafeln an neuralgischen Stellen. Wenig sinnvoll finden Experten und Verwaltung Tempo 30, weil dessen Einhaltung auf kurzen Strecken mit der aktuellen Technik nicht kontrolliert werden könne. Der LBM verspricht, über eine Verschwenkung am Ortseingang noch einmal nachzudenken. Allerdings werde das wohl wegen der Kosten, auch für den erforderlichen Grunderwerb, schwierig werden. Ansonsten weisen Reith und Merkel in einer gemeinsamen Stellungnahme darauf hin, dass es Probleme wie in der Großniedesheimer Straße auch andernorts gibt, dass Geschwindigkeitsmessungen keine Auffälligkeiten ergeben hätten und dass Anwohnern beim Kehren „auffällige Schutzkleidung“ empfohlen wird. Eine Sperrung der Strecke für Lkw komme wegen ihrer überregionalen Bedeutung auch nicht infrage. Michael Lehrer dagegen hält das bloße optische Hervorheben von Engstellen für unzureichend: „Das führt nur dazu, dass die Autofahrer bei Gegenverkehr noch mal ordentlich Gas geben, um vor dem jeweils anderen durch die Engstelle zu kommen. Das kann man jetzt schon dauernd erleben.“ Ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern hält er für die beste Lösung, auch wenn Kontrollen unmöglich wären. „Solche Schilder haben zumindest eine starke Signalwirkung“, meint er. Der Kleinniedesheimer macht sich große Sorgen um sein Haus, einen denkmalgeschützten Dreiseithof, dessen Sanierung er und seine Frau als Lebensaufgabe ansehen. Lehrer zeigt auf die Setzrisse im Mauerwerk und prophezeit, dass irgendwann die Fassade, wie andernorts schon geschehen, einfach um 90 Grad auf die Straße fällt. „Als Eigentümer eines solchen Gebäudes macht mir die Denkmalpflege lauter teure Auflagen, aber keinen interessiert es, ob die Erschütterungen durch den Schwerlastverkehr das Haus zerstören.“ Die Frage, inwieweit die öffentliche Hand dafür zu sorgen hat, dass das nicht passiert, hat die RHEINPFALZ der Kreisverwaltung Rhein-Pfalz als untere Denkmalschutzbehörde gestellt. Die kann darauf momentan keine Antwort geben. Pressesprecher Stefan Kopf weiß nur, dass sich das Amt immer zuerst den Eigentümer zur Rechenschaft zieht, wenn ein Denkmal zerstört wurde. Ob dieser gegenüber einer Behörde oder Verwaltung als Verursacher der Zerstörung eine Handhabe hat, will der Kreis jetzt mal beim LBM erfragen.

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