Neustadt Verhütung nicht verboten

91-89780875.jpg

Im Oberschoss der Neustadter Moschee in der Europastraße fallen an diesem Mittwochmorgen Worte, die manch einer dort nicht vermuten würde: die „Pille“, Spirale, Samenstrang durchtrennen, Abtreibung. Sevilay Baylan, Vorsitzende des Landesfrauenverbands von Ditib, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, spricht über Familienplanung im Islam. Ihr Publikum: Neustadterinnen aus der Ditib-Gemeinde Neustadt und Neustadterinnen, die sich vor allem in der Flüchtlingshilfe engagieren. Was zunächst ein wenig an Frontalunterricht in der Schule erinnert, wird schnell zur munteren Debatte. Widerspruch oder Fragen gibt es dabei keinesfalls nur von jenen Frauen, die kein Kopftuch tragen. Sevilay Baylan ist 43 Jahre alt, sie lebt seit 36 Jahren in Deutschland, ist vierfache Mutter und im Rhein-Pfalz-Kreis zuhause. Ihre Botschaft lautet: Der Islam steht grundsätzlich für Frieden, doch spielen für das Verhalten von Menschen eben auch Kultur, Bildung und Charakter eine große Rolle. Seit einem Jahr führt Baylan, die „Arabisch studiert hat, um den Koran zu verstehen“, den Ditib-Frauenverband in Rheinland-Pfalz. Sie hat die Vision, dass sich Frauen als wesentlicher Teil der Gesellschaft solidarisieren und für ihre Rechte eintreten, gleich welcher Religion und Herkunft. „Gemeinsam schaffen wir es“, lautet die Ansage, und so tourt sie durch das Land, um für Frauenvereine, Netzwerke und Bildungsangebote zu werben. Gleichzeitig will sie sich dagegen wehren, mit radikalen Islamisten auf eine Stufe gestellt zu werden. Welche Rechte muslimische Frauen haben, macht sie am Thema Familienplanung deutlich. So sei Verhütung erlaubt, Abtreibung nicht. Ob sich die Gläubigen daran hielten, sei indes Sache jedes einzelnen, „es besteht kein Zwang“. Ein wenig erinnert das alles an die frühen Jahre der deutschen Frauenbewegung. Sexuelle Aufklärung als ein Schritt hin zur Emanzipation. Dabei weiß auch die Frauenverbandsvorsitzende, dass Bildung der Schlüssel zu allem anderen ist, vorneweg das Erlernen der deutschen Sprache. „Die Sprache fehlt“, sagt sie, deshalb müsse in allen Ditib-Moscheen Deutsch gelehrt werden. Denn auch die Frauen in ihrem Verband täten sich schwer im Umgang mit jenen Flüchtlingen, die zwar denselben Glauben haben, aber anderen Kulturen angehören. „Auch wir können meist kein Arabisch, deshalb müssen alle Deutsch sprechen, wenn wir kommunizieren wollen.“ All das hört sich gut an, wird aber durchaus relativiert. So erzählt eine Flüchtlingshelferin von jenen blutjungen Frauen, die seit Kurzem mit Mann und Kind in Neustadt lebten und schon wieder schwanger seien. Mit der Situation überfordert, hätten sie überhaupt keine Zeit, Deutsch zu lernen, was wiederum die Integration schwierig mache. Ob den Frauen nun Kinder aufgezwungen würden oder, wie eine Muslima sagt, das Gerücht die Runde mache, wer schwanger sei, werde nicht abgewiesen: Baylan verspricht Hilfe, sie will wieder kommen, um in anderen Runden aufzuklären. „Wer klärt die Männer auf?“, lautet eine durchaus provokante Frage aus dem Kreis der Flüchtlingshelferinnen. Ulrike Gauglitz vom Arbeitskreis Asyl beispielsweise kann von mindestens zehn Asylbewerbern berichten, die eine Deutschlehrerin nicht akzeptieren. „Machogehabe ohne religiöses Fundament“, kommentiert Baylan, mit dem Islam habe das nichts zu tun. Eine spontane Antwort oder gar Lösung kann sie indes nicht anbieten. Aufklärung nach dem Freitagsgebet, das die meisten Männer besuchen, lautet ein Vorschlag aus dem Kreis der muslimischen Neustadterinnen. Morgen soll in der Moschee ein neuer Imam die religiöse Führung übernehmen; wie berichtet, darf dessen Vorgänger Rasit Altindag nach einem Türkei-Urlaub nicht mehr ausreisen, weil ihm unterstellt wird, den Erdogan-Kritiker Fethullah Gülen unterstützt zu haben. Ditib hat ihm gekündigt, Altindag dagegen Widerspruch eingelegt. Eine Stellungnahme zu dem Fall hat der Ditib-Dachverband bislang trotz wiederholter RHEINPFALZ-Nachfrage abgelehnt. Für Altindag einsetzen will sich Doene Akdas. Sie arbeitet im Team Asyl des städtischen Sozialamts und engagiert sich in der Islamischen Gemeinde Neustadt. Sie ist es auch, die den Austausch unter den Frauen initiiert hat – der mit einem anderen Thema fortgesetzt werden soll. Das dürfte durchaus im Interesse von Sevilay Baylan sein. Sie sagt am Ende: „Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, uns kennzulernen statt aneinander vorbeizulaufen.“

x