Neustadt „Es geht um unsere Existenz“: Artenvielfalt in Neustadt

Ruderalflächen, also Flächen, die man sich selbst überlässt, haben aufgrund der vielen Pflanzen eine hohe ökologische Bedeutung.
Ruderalflächen, also Flächen, die man sich selbst überlässt, haben aufgrund der vielen Pflanzen eine hohe ökologische Bedeutung.

Artenvielfalt ist ein unterschätztes Thema, beklagt Waltraud Blarr. Die Beigeordnete warnt vor den Folgen ungebremsten Tiersterbens und ausufernder Flächenversiegelung.

Corona, Klima, Ukraine – große Krisen bestimmen seit gut zwei Jahren das öffentliche Bewusstsein und ziehen sehr viel Aufmerksamkeit auf sich. Mit Blick auf die Umwelt sieht Neustadts Beigeordnete Waltraud Blarr aber noch ein weiteres Thema, „das mindestens so wichtig ist wie die Klimakrise, nur nicht so wahrgenommen wird“. Die Grünen-Politikerin spricht die Artenvielfalt (Biodiversität) an. Diese Herausforderung bestehe aus so vielen Komponenten, dass sie am Ende nicht so wahrgenommen und daher eher unterschätzt werde: „Dabei geht es um die Grundlagen, es geht um unsere Existenz.“

Blarr wählt die deutlichen Worte ganz bewusst. Um dem Thema Nachdruck zu verleihen, engagiert sie sich auch im Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“ und steht seit ein paar Tagen sogar an dessen Spitze. 335 Kommunen haben sich dem Bündnis bisher angeschlossen. Für Blarr zahlt sich das Engagement dort aus: „Es geht darum, voneinander zu lernen und flächendeckend ein Bewusstsein für unsere Anliegen und Themen zu schaffen.“ Die Herausforderung bestehe darin, dass Kommunen zwar Infrastruktur und Gewerbe- sowie Wohnflächen zur Verfügung stellen müssen, „aber wir müssen eben auch den Lebensraum für die Natur, für Insekten und Vögel, erhalten“.

Wissen geht verloren

Neustadt sei dabei insgesamt gut aufgestellt. Das sei der Lage der Stadt am Waldrand und mitten in Weinbergen zu verdanken. „Aber wir müssen eben dafür sorgen, dass uns dieses Plus erhalten bleibt.“ Daher wirbt die Beigeordnete engagiert dafür, für Gewerbeansiedlungen nicht immer neue Flächen auszuweisen. „Wichtiger ist es, die Gebiete, die brach liegen, neu zu nutzen.“ Sie verstehe zwar die Interessen der Wirtschaft und Gewerbetreibenden, aber man müsse verhindern, dass immer mehr Grünflächen verschwinden. „Damit geht Lebensraum für Rebhühner, Hasen, Hamster, Vögel und Insekten verloren“, verdeutlicht sie. Eine Zahl sei erschreckend: „Derzeit verschwindet jährlich ein Prozent aller Vögel. Damit vernichten wir auch unsere Lebensgrundlagen.“

Wichtiger Beitrag: richtige Streifenmahd.
Wichtiger Beitrag: richtige Streifenmahd.

Das Bienensterben finde zwar immer mal wieder großes Interesse, aber insgesamt fehle es an Verständnis für die Zusammenhänge in der Natur und warum man viele Arten nur schützen könne, wenn die Gesamtstruktur mit ausreichend Lebensraum für Tiere und Pflanzen stimme. Blarr beklagt in diesem Zusammenhang auch einen Wissensverlust in der Bevölkerung. Viele Kinder kämen kaum noch mit Natur in Berührung. „Jüngere Menschen wissen oft kaum etwas über Tiere und welche Bedeutung die Arten und die Natur für uns haben.“

Hilft auch: ein Insektenhotel auf der Haardt.
Hilft auch: ein Insektenhotel auf der Haardt.

Daher möchte die Beigeordnete auch in Neustadt vermehrt Bildungsangebote rund um das Thema Artenvielfalt/Naturschutz anbieten. Auch bei der Gestaltung der Landesgartenschau sollen die Aspekte umfassend berücksichtigt und vermittelt werden. Mit politischen Entscheidungen will Blarr zudem dafür sorgen, dass das Thema dauerhaft präsent ist. So strebt sie für nächstes Jahr die Rezertifizierung von „Stadtgrün“ an. Es sei ganz wichtig, auch in innerstädtischen Bereichen Lebensräume für Pflanzen und Tiere zu schaffen. „Und man darf den Beitrag von Grünflächen und großen Bäumen fürs Klima nicht unterschätzen. Mit Grün ist es deutlich kühler als ohne“, so Blarr. Daher warnt sie davor, alten Baumbestand nur als lästig anzusehen, weil sie viel Arbeit machen wegen des Laubs. „Wie wichtig Bäume sind, merkt man oft erst, wenn sie weg sind.“

Weg vom Steingarten

Zentral sei es ferner, die Bürger auf den Weg mitzunehmen und sie nicht mit Konzepten zu überfrachten. So will Blarr den städtischen Umweltpreis 2023 für diejenigen ausschreiben, „die ihre Steingärten wieder in Naturgärten umgewandelt haben“. Das solle ein Ansporn für Nachahmer sein und zugleich aufzeigen, wie viel mehr Natur und Leben in einem klassischen Garten möglich sind. Daher soll eine Satzung künftig regeln, dass Gärten rund um Häuser zu begrünen sind.

Waltraud Blarr
Waltraud Blarr

Auf politischer Ebene soll noch dieses Jahr in Neustadt eine Biodiversitätsstrategie verabschiedet werden. Ein solcher Rahmen sei wichtig, „um einen Riegel vor immer mehr Inanspruchnahme von Flächen zu schieben“. Und zugleich zu regeln, dass auch in Wohn- und Gewerbegebieten Flächen für Artenvielfalt angelegt werden. Nur dann könne Neustadt seine gute Position mit Blick auf Naturräume behaupten. Es sei wichtig, dass es Vielfalt gibt. „Dann ist auch eine viel bessere Bestäubung durch Insekten möglich“, erläutert Blarr.

Der Erhalt der Vielfalt sei auch wirtschaftlich wichtig, „denn die Hälfte unserer Arzneien beruht auf Heilpflanzen, daher müssen wir aufpassen, dass wir unsere eigene Lebensbasis nicht zerstören“. Daher sei es sinnvoll, Gräser nicht sofort zu mähen, sondern viele erst mal blühen zu lassen. Um in Neustadt noch bessere Ergebnisse zu erzielen, soll auch ein Biodiversitätsmanager eingestellt werden. „Immer nur Konzepte reichen nicht, wir müssen das auch umsetzen, und dafür brauchen wir Personal“, so Blarr. Eine weitere Idee sei die Entwicklung eines Mustergartens, „damit Menschen sehen, was gut ist und was auch schön aussieht und trotzdem weniger Arbeit macht als klassische Ziergärten“.

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