Neustadt Energiewende Thema beim Zukunftstag: „Warum tun wir’s nicht?“

„Weg mit Plastik“: Die Kindertanzschule zeigte bei der von Stadt und Green Camp organisierten Veranstaltung, was mit Plastik get
»Weg mit Plastik«: Die Kindertanzschule zeigte bei der von Stadt und Green Camp organisierten Veranstaltung, was mit Plastik getan werden sollte.

Der Aktionstag rund um den Neustadter Marktplatz setzt hoffnungsvolle Akzente. Aber noch stammen 80 Prozent der Energie von Öl, Gas und Kohle. Zu Risiken und Nebenwirkungen nehmen Experten unmissverständlich Stellung.

Fünf nach 12 sei es in Sachen Nachhaltigkeit und Energiewende, sagen viele Umweltschützer. Solchem Pessimismus wollen die Neustadter bei ihrem Aktionstag, der sich mit Nachhaltigkeit und Zukunft beschäftigt, offenbar entgegentreten. Inhaltlich, und auch zeitlich. Freitag, 9.30 Uhr – schon eine halbe Stunde vor Eröffnung herrscht Gewusel und Betriebsamkeit rund um den Marktplatz. Die ersten Interessierten finden sich an den Ständen von Natur- und Umweltschutzorganisationen ein. Ein Kinderchor auf der Bühne hat munteres Liedgut im Repertoire. Auch Schulen sind präsent. Klar, dass gerade die jüngeren Jahrgänge Flagge zeigen wollen, wenn es um die nächsten Jahrzehnte geht.

Oberbürgermeister Marc Weigel plaudert am Stand der Stadtwerke, die hier auch optisch sehr präsent sind – berechtigterweise, denn in den Augen und Köpfen vieler Bürger sind sie derzeit ganz konkret die Hoffnungsträger im Kampf gegen explodierende Gaspreise. Womit ein Kernpunkt dieses Aktionstages, so zeigt sich in Diskussionen und Expertenvorträgen, klar umrissen ist. Rund 80 Prozent der aktuell welt- und deutschlandweit verbrauchten Energie stammt aus Öl, Gas und Kohle. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Nicht immer bierernst

Es spricht für die Ideengeber und Organisatoren dieses Tags, dass die Themen, obwohl existenziell wichtig, nicht immer nur bierernst präsentiert werden. Auf den Tischen vor der großen Marktplatzbühne liegen Bierdeckel (die sicher auch für Weingläser taugen); auf ihnen stehen Leitsätze der Neustadter Nachhaltigkeitsstrategie in pfälzischer Übersetzung. „Ohne sauweres Wasser kää Leewe unn kään Rieslingschorle“, ist da zu lesen, oder: „Energie: sauwer, nedd iwwerdeiert unn fer all.“

In den vergangenen zwei Jahren hat Neustadt in Zusammenarbeit mit Bürgern und Experten aus Wirtschaft und Verbänden seine Nachhaltigkeitsstrategie formuliert: 82 Maßnahmen in sechs Themenfeldern, wie der städtische Klimaschutzmanager Marcel Schwill darlegt. Dass das an manchen Stellen nicht ohne Schmerzen abgeht, zeigt sich im Kleingedruckten, etwa beim „operativen Ziel 4.2.1“. Da heißt es: „Bis 2030 wird das Preisniveau für das Parken in der Innenstadt schrittweise erhöht, um Alternativen attraktiver zu machen.“

Debatten im Ratssaal

Dass sich da Dinge manchmal hart im Raum stoßen, wird in Debatten und Experten-Vorträgen im Ratssaal ersichtlich, vor einem nicht überragend großen, fachlich aber gut informierten und interessierten Publikum. Zum Nachhaltigkeitskonzept verlautet da etwa: „Ein Papier ist noch gar nichts, es muss umgesetzt werden.“ Ein Satz des TV-Wettermoderators Sven Plöger wird zitiert: „Die Menschen reden sich die Welt schön.“ Und zur Sprache kommt auch eine Binsenweisheit, die jedoch, wie Umweltschützer schwören, langfristig ins Verderben führt: „Viel Energie verbrauchen zu können, ist erst mal angenehm.“

Der Verbrauch großer Mengen von Öl, Gas oder Kohle führt aber zu horrendem Kohlendioxid-Ausstoß. Das wollten Wolfram Husemann vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und seine Familie aber nicht mehr. Überhaupt nicht mehr. Husemann berichtet über den Einbau einer Wärmepumpen-Anlage in seinem Haus. Ein Jahr verging von der Planung bis zur Umsetzung, die Beauftragung eines zertifizierten Büros sei notwendig und sinnvoll. Das Haus müsse gut isoliert sein. „Wir haben dreifach-verglaste Fenster eingesetzt, zudem mussten etliche Heizkörper ausgetauscht werden.“ Es gebe Zuschüsse der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Natürlich wird Husemann aus dem Auditorium nach den Kosten für die neue Anlage gefragt. „Bei 125 Quadratmetern Wohnfläche letztlich, nach Gutschrift der Förderung, noch 25.000 Euro.“ Aber eine gute Gasheizung koste ja auch schon fast so viel. Was die laufenden Energiekosten nach Einbau der Wärmepumpe angeht – da hat Husemann Diagramme angelegt. Der Kurvenverlauf ist eindeutig.

Lithium die Lösung?

Carolin Boxheimer von den Stadtwerken und Wolfgang Müller vom Solar-Info-Zentrum werben mit Hingabe für Photovoltaik-Anlagen. Die kann man kaufen – oder auch mieten. Derzeit gebe es eine hohe Nachfrage und lange Lieferzeiten. Müller schildert die nicht neuen, aber immer wieder interessant zu hörenden Auswirkungen der Erderwärmung: Bei einem Temperaturanstieg von vier Grad Celsius würde London unter Wasser stehen, und es gäbe eine Milliarde Umweltflüchtlinge.

„Wärmeversorgung und Kohlendioxid-freies Lithium aus tiefer Geothermie für Neustadt“, lautet der spannende Titel eines Referats, das Jörg Zeilinger von der „Vulcan Energie Ressourcen GmbH“ hält. Lithium braucht man für die Herstellung von Batterien. Vereinfacht formuliert: Durch Bohrungen in 3000 bis 4000 Metern Tiefe sei lithiumreiches Thermalwasser erreichbar, das an die Oberfläche gepumpt werden könne. Der Oberrheingraben biete sich dafür an, möglicherweise auch zwei Standorte in Neustadt, einer östlich von Lachen-Speyerdorf. Zeilinger verschweigt nicht, dass in Landau 2014 ein Geothermie-Projekt wegen „Mikrobeben“ und Bodenhebungen abgebrochen wurde. Die dort aufgetretenen Probleme seien mittlerweile aber entschärft.

25 Vorträge stark ist das Programm im Ratssaal, von Geothermie über Walderneuerung, Bio-Lebensmittel, Car-Sharing bis Lastenfahrräder und vieles mehr. Zwei Expertensätze, die an diesem Tag besonders eindringlich klingen: „Wir können was tun.“ Und: „Wenn wir wissen, was wir tun sollten, warum tun wir’s dann nicht?“

Emmelie Öden (links) von „Permapalz“ hilft Paula dabei, aus verschiedenen Samenarten Saatgutkonfetti zusammenstellen. Die Samen
Emmelie Öden (links) von »Permapalz« hilft Paula dabei, aus verschiedenen Samenarten Saatgutkonfetti zusammenstellen. Die Samen werden in Papiertütchen aus alten Zeitungen gepackt und können in die Natur geworfen werden.
Die Schüler der Hans-Geiger-Schule bemalten Baumscheiben.
Die Schüler der Hans-Geiger-Schule bemalten Baumscheiben.
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