Ludwigshafen „Dieser Populismus muss uns zu denken geben“

Frau Lohse, täuscht uns der Eindruck oder war Ihre Verzichtserklärung für Sie auch eine Art Befreiung?

Das war eine Entscheidung, die ich mir nicht leicht gemacht und mit der ich mich lange beschäftigt habe. Natürlich ist es auch eine gewisse Erleichterung, wenn man dann am Ende eines solchen Prozesses eine Entscheidung hat, mit der man im Reinen ist und mit der man dann auch an die Öffentlichkeit gehen kann. Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie sich sicher waren: So – jetzt ist definitiv Schluss? Es gab nicht diesen einen Moment. Das war eine Entscheidung, die langsam gereift ist. Was gab den letzten Ausschlag? Da haben viele Faktoren eine Rolle gespielt. Ich bin die erste direkt gewählte OB der Stadt und habe jetzt 15 Jahre Amtszeit hinter mir. Ich konnte etwas gestalten. Das hat mir große Freude gemacht. Ich habe aber auch immer die große Verantwortung gespürt. Das Amt fordert den ganzen Menschen. Es gibt nur wenige Momente, in denen man wirklich privat sein kann. Meine Familie hat darauf stets Rücksicht genommen. Jetzt ist die Zeit gekommen, kürzer zu treten und der Familie etwas zurückzugeben. Waren es am Ende tatsächlich nur familiäre Gründe oder war es vielleicht auch ein wenig die Angst davor, bei der nächsten OB-Wahl zu scheitern? (lacht). Ich habe zwei Wahlkämpfe hinter mir und diese gut bestanden. Wäre ich erneut angetreten, hätte ich wieder einen engagierten Wahlkampf gemacht. Viele Menschen haben mir gesagt, ich sollte nochmals antreten, sie würden mich auch unterstützen. Ich wollte diese Menschen nicht enttäuschen. Das ist ein Grund, warum ich rechtzeitig gesagt habe, dass ich nicht mehr kandidiere. Hätte es eine Konstellation gegeben, die Sie dazu hätte bewegen können, den Hut in den Ring zu werfen? Mir war es wichtig, diese Entscheidung eng mit meiner Partei abzustimmen. Und es war mir wichtig, dass die CDU einen Kandidaten vorstellt, der mit guten Erfolgsaussichten in die Wahl geht und den ich voller Überzeugung unterstützen kann. Als die Bereitschaft von Peter Uebel für eine Kandidatur da war, war das für mich der letzte finale Impuls, nicht mehr anzutreten. Hat er so gute Chancen wie Sie sie gehabt hätten? Er hat sehr gute Chancen. Er ist unglaublich engagiert für die Stadt, ist ein erfolgreicher Mediziner, kann mit Menschen reden, ist mitten unter ihnen und will die politischen Weichenstellungen für die Stadt in meinem Sinne fortführen. Aber unsere Frage haben Sie damit nicht beantwortet. CDU-Chef Ernst Merkel spricht von einem prozentualen Chancenplus von 55:45 gegenüber SPD-Kandidatin Jutta Steinruck. Das sind gute Zahlen. Es würde mich freuen, wenn es am Ende so ausginge. Ihnen wurde viel Respekt gezollt für Ihren Rückzug. Vor allem in den sozialen Netzwerken gab es aber auch zum Teil nicht druckreife Kommentare. Schmerzt Sie das? Was einen als Politiker schmerzen muss, ist die teils hemmungslose Verunglimpfung in den sozialen Netzwerken. Diese Verrohung der Sitten im Netz muss einem Sorgen machen. Würden Sie von Hass sprechen? Das geht so weit, dass man von Hass und auch von strafwürdigem Verhalten sprechen kann. Das ist ja kein Ludwigshafener Phänomen. Rechtspopulisten haben Zulauf: der Brexit, der Erfolg Donald Trumps – wie erklären Sie sich diese Entwicklungen? Es gibt offensichtlich viele Menschen, die von der Globalisierung und ihren Begleiterscheinungen verunsichert sind. Das macht sie empfänglich für Rechtspopulisten und teilweise auch Rechtsradikale, die mit Feindbildern arbeiten. Dabei wird eine Verrohung der Sitten akzeptiert, die ich in einer aufgeklärten Gesellschaft so nicht für möglich gehalten hätte. Da ist etwas im Gange, gegen das wir uns gemeinsam stemmen müssen. Inwieweit fühlt man sich als Teil des Establishments für eine solche Entwicklung mitverantwortlich? Das ist ja die Sichtweise von Pegida und AfD: Dass es auf der einen Seite das Establishment gibt mit den sogenannten Alt-Parteien und der sogenannten Lügenpresse, also auf Ludwigshafen bezogen die Lohse und die RHEINPFALZ, und auf der anderen Seite das Volk, das jetzt endlich aufsteht und seine Meinung sagt. Aber so ist es ja nicht. Denn diejenigen, die am lautesten schreien, sind ja nicht das Volk. Sie sind nicht die Mehrheit, sondern eine Minderheit. Dennoch müssen wir uns fragen: Was passiert da mit jenem Teil der Gesellschaft, dessen Protest sich ja sehr an der Flüchtlingspolitik kristallisiert? Und die Antwort? Wir haben es in diesem Jahr geschafft, den Zuzug von Flüchtlingen deutlich zu reduzieren. Jetzt geht es darum, zu entscheiden, wer bleiben kann und wer zurückkehren muss. Dafür gibt es rechtsstaatliche Verfahren, und an deren Ende steht eine Entscheidung, die dann auch umgesetzt werden muss. Und es geht darum, diejenigen, die länger bleiben werden, in unsere Gesellschaft zu integrieren, und zwar nach der Devise fördern und fordern. Dabei müssen wir die Akzeptanz der aufnehmenden Gesellschaft mitdenken. Wir dürfen Menschen, die die Politik der sogenannten etablierten Parteien unterstützen, nicht an diejenigen verlieren, die nur radikale Fragen stellen, aber keine relevanten Antworten haben. Wobei wir bei der AfD wären, die auch hier auf dem Vormarsch ist: Bei den jüngsten Kommunal- und Landtagswahlen war Ludwigshafen eine AfD-Hochburg. In vielen Stadtteilen wurde die CDU von der AfD distanziert. Ihr Ludwigshafen, Frau Lohse, das Sie anderthalb Jahrzehnte geprägt haben. Wie konnte es dazu kommen? Ludwigshafen hat 14 Stadtteile. In fünf Stadtteilen lag die AfD bei der Landtagswahl vor der CDU. In den meisten Fällen war der Abstand marginal. Ich will das nicht schönreden, aber durch Ihre Fragestellung entsteht ein falsches Bild. Das kann man auch anders bewerten. Man muss da schon genauer hinschauen. Die Stadtteile mit einem deutlichen AfD-Vorsprung waren Nord-Hemshof und West. Das Ergebnis hat etwas mit der Bevölkerungsstruktur in diesen Stadtteilen zu tun. Die Ursachen dafür liegen länger als 15 Jahre zurück. Das ist der lokale Aspekt. Aber noch wichtiger ist der überregionale Aspekt. Inwiefern? Die Landtagswahl stand ganz im Zeichen der Flüchtlingsfrage. Wir haben in Ludwigshafen in dieser Frage eine ganz transparente Linie gefahren. Es ist uns gelungen, die Unterbringung zu regeln, ohne dafür auf Schulturnhallen oder Gemeinschaftshäuser zurückzugreifen. Wir haben in der Stadt unglaublich viel ehrenamtliches Engagement. Trotzdem gab es eine Gruppe, die früher nicht zur Wahl gegangen ist und jetzt einfach nur Protest gewählt hat – und zwar eine Partei, die keine Lösung anbietet und nur Feindbilder produziert. Dieser Populismus muss uns zu denken geben. Der künftige US-Präsident wird von besagten Gruppen gefeiert und gilt als Anführer einer Bewegung. Können Sie einem Mann wie Donald Trump irgendetwas Positives abgewinnen? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er gewinnen kann. Er hat einen unflätigen Wahlkampf mit Verleumdungen geführt. Jetzt müssen wir mit diesem demokratischen Ergebnis umgehen. Tja … (denkt nach) Ihnen fehlen die Worte? So könnte man das sagen. Man muss jetzt einfach abwarten, was von dem übrig bleibt, was Trump im Wahlkampf angekündigt hat. Mit Blick auf den Ludwigshafener Schuldenberg fehlen einem auch die Worte. Er wächst auf 1,4 Milliarden Euro bis Ende 2018. Als Städtetagspräsidentin, sagen Sie, haben Sie den Fokus auf die Situation mittelgroßer Städte gelenkt. Es scheint nicht so, dass das Ludwigshafen irgendetwas gebracht hat – außer ein wenig mehr Aufmerksamkeit. Es stimmt nicht, dass sich nichts geändert hat. Diese Bundesregierung, diese große Koalition, ist die kommunalfreundlichste Bundesregierung, die ich erlebt habe. Sie hat die Kommunen massiv entlastet, und sie hat dafür mehrfach Wege gewählt, die gerade Städten wie Ludwigshafen, Industriestädten nach dem Strukturwandel, besonders zugutekommen. Nennen Sie mal Beispiele? Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen. Erstens: Der Bund entlastet die Kommunen bei den Kosten der Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern, indem er seinen eigenen Anteil daran massiv erhöht. Bei anerkannten Flüchtlingen übernimmt er die Kosten sogar komplett. Zweitens: Der Bund hat im letzten Jahr 3,5 Milliarden Euro für ein gezieltes Programm zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen aufgelegt. Das ist genau das, wofür ich mich als Städtetagspräsidentin eingesetzt habe: Dass das Geld zielgenau dorthin geleitet wird, wo es besonders dringend gebraucht wird. Dieses Programm wurde jetzt übrigens noch einmal im Umfang verdoppelt. Wir reden da jetzt also über sieben Milliarden Euro. Ohne dass der Ludwigshafener Schuldenberg geschmolzen wäre. Ich rede hier über Maßnahmen, die in den letzten anderthalb Jahren beschlossen wurden. Es ist doch klar, dass damit nicht alle Schieflagen aus der Vergangenheit beseitigt sind. Und das Geld muss natürlich auch tatsächlich bei den Kommunen ankommen. Das ist nicht ganz einfach, weil das Grundgesetz in der Regel keine direkten Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Kommunen vorsieht. Der Weg führt also über die Länder. Und Rheinland-Pfalz gehört leider zu den Ländern, die Geld vom Bund nicht vollständig durchreichen. Das heißt, das Geld kommt nicht bei den Kommunen an. Die Landesregierung hat also zu klebrige Finger? Das ist der Punkt. Ich nehme den Bund nicht aus der Verpflichtung, er muss weiter geben. Aber er hat bereits viel getan. Das muss man auch mal anerkennen und wertschätzen. Unter den bundesweit 20 am höchsten verschuldeten Städten sind ausschließlich Städte aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Alle Städte in Deutschland führen Bundes- und Landesgesetze aus, und sie erhalten von den jeweiligen Ländern eine bestimmte finanzielle Ausstattung. In einigen Bundesländern reicht diese Ausstattung aus. Bundesgelder werden so weitergeleitet, dass die Kommunen ihre Aufgaben erfüllen können. Deshalb gibt es etwa in Baden-Württemberg praktisch keine Kommunen mit Kassenkrediten. In Rheinland-Pfalz sind die Städte dagegen nicht in der Lage, ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen, ohne dafür Kredite aufzunehmen. Sie wollen damit aber nicht sagen, dass Malu Dreyer daran schuld ist, dass Ludwigshafen so arm dran ist? Persönliche Schuldzuweisungen sind nicht meine Art. Außerdem ist das Problem älter als die Amtszeit von Frau Dreyer. Aber die Verantwortung für eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen liegt beim jeweiligen Bundesland. Und in Rheinland-Pfalz wird die Landesregierung dieser Verantwortung nicht gerecht. Die Städte in Rheinland-Pfalz sind alle chronisch unterfinanziert, weil wir keinen angemessenen Ausgleich für die Soziallasten erhalten. Das ist kein Ludwigshafener Problem. Deswegen hat ja auch die kommunale Ebene eine Klage gegen den kommunalen Finanzausgleich des Landes Rheinland-Pfalz erhoben. Der SPD-OB von Kaiserslautern hat das stellvertretend für alle großen Städte in Rheinland-Pfalz gemacht. Und wir unterstützen ihn. Frau Lohse, 2016 war ein turbulentes und trauriges Jahr. Im Mai die Messerattacke auf einen Polizisten am Berliner Platz, die für den Angreifer tödlich endete. Im Oktober die BASF-Explosion mit vier Todesopfern. Im November ein versuchter Bombenanschlag eines Zwölfjährigen auf den Weihnachtsmarkt. Wie muss die Politik vor Ort auf derlei Ereignisse reagieren? Wir brauchen mehr Unterstützung und mehr Rückendeckung für unsere Sicherheitskräfte. Dass der Beamte, der am Berliner Platz seinem Kollegen das Leben gerettet hat, ganze fünf Monate warten musste, bis das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt wurde, ist das falsche Signal. Was die BASF angeht: Es gehört zum Selbstverständnis des Konzerns, dass dort Sicherheit über alles geht. Die Ursachen der Explosion müssen sehr genau untersucht werden. Und wenn es Sicherheitslücken gibt, müssen diese geschlossen werden. Abgesehen davon müssen wir – die BASF und die Stadtgesellschaft – wieder mehr miteinander reden. Den Anfang haben wir mit dem Bürgerforum in Oppau gemacht. Ich möchte diese Form des Dialogs unbedingt fortsetzen. Und der versuchte Anschlag des Zwölfjährigen? Das ist für mich die schlimmste Nachricht des Jahres. Sie lässt viele Fragen offen. Wie kommt ein Kind auf so eine Idee? Wie gehen wir als Gesellschaft mit so einer Gefahr um? Der Zwölfjährige ist nicht strafmündig. Er ist also ein Fall fürs Jugendamt. Aber Terrorabwehr ist Aufgabe der Polizei und nicht der kommunalen Jugendhilfe. Wir haben in diesem Bereich Regelungslücken, die geschlossen werden müssen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass wir darüber reden, wie wir ein gesellschaftliches Klima schaffen, in dem so eine Radikalisierung, wie sie hier anscheinend stattgefunden hat, möglichst vermieden werden kann. Am 11. Januar ist Ihr letzter Neujahrsempfang als OB – kommt bei dem Gedanken daran schon etwas Wehmut auf. Wird das eine Art Abschiedsgala? Nein. Das wird aber sicher ein sehr emotionaler Moment. Ich habe mir vorgenommen, dass ich auch dieses Jahr mit großer Freude und höchstem Einsatz für die Stadt verbringen werde. Der Neujahrsempfang war für mich immer ein Höhepunkt. Gibt’s dann wieder Logo-Häppchen oder verzichten Sie darauf, nachdem das Grinsegesicht auch fünf Jahre nach seiner Geburt ein ungeliebtes Kind ist? Das Logo ersetzt ja nicht unser Wappen, sondern es ergänzt es. Ich höre auch viele, die davon ganz begeistert sind. Anderen gefällt es weniger. Die Häppchen waren jedenfalls immer schnell vergriffen. Verraten Sie uns, was Sie ab 2018 beruflich machen? Der Chefposten bei der Wohnungsbaugesellschaft GAG wäre dann ja frei … (lacht herzhaft) Im Moment habe ich keine Idee, was nach dem 1. Januar 2018 passiert. Ich habe ja noch ein Jahr Zeit, um mir Gedanken darüber zu machen. Ich bin mir sicher, dass ich etwas tun werde. Was das sein wird, kann ich noch nicht sagen. Es kann sich jedenfalls keiner vorstellen, dass Eva Lohse dann die Hände einfach in den Schoß legen oder Söckchen für das Enkelchen stricken wird. Im Moment kann ich mir das auch nicht vorstellen. Aber ich habe wirklich noch keine konkreten Pläne. Steffen Gierescher & Michael Schmid

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