Ludwigshafen Die komische Seite des Nazi-Terrors

91-80535232.jpg

Pfalzbau-Intendant Tilman Gersch macht seine Ankündigung wahr, mit Theaterhäusern auch der weiteren Umgebung zu kooperieren. Mitte März wird im Pfalzbau seine Inszenierung von Brechts „Mutter Courage“ am Theater Pforzheim zu sehen sein. Jetzt haben die Pforzheimer in Ludwigshafen schon einmal ein Gastspiel mit der Burleske „Sein oder Nichtsein“ gegeben. Die solide inszenierte Komödie treibt Schabernack mit den Schrecken des nationalsozialistischen Terrorregimes.

1942 drehte der Emigrant Ernst Lubitsch in Hollywood nach dem Text „Noch ist Polen nicht verloren“ des ungarischen Dramatikers Melchior Lengyel den Film „Sein oder Nichtsein“. In der Tragikomödie geht es um eine Warschauer Schauspieltruppe, die nach der Besetzung Polens Shakespeares „Hamlet“ aufführt und die Gestapo überlistet. 2008 hatte in London die Bühnenbearbeitung des englischen Dramatikers und Drehbuchautors Nick Whitby Premiere, im Jahr darauf die deutsche Fassung am Deutschen Theater Berlin. Kurz vor dem Überfall auf Polen am 1. September 1939, dem Fanal zum Zweiten Weltkrieg, studiert eine Truppe in Warschau ein antifaschistisches Stück ein. Weil die polnische Regierung Hitler-Deutschland nicht provozieren will, setzt die Compagnie stattdessen jedoch Shakespeares „Hamlet“ auf den Spielplan. Immer wenn der Schauspieler Josef Tura (Markus Löchner) mit dem berühmten Monolog „Sein oder Nichtsein“ beginnt, steht in der dritten Reihe im Publikum ein junger Fliegeroffizier auf und verlässt den Saal. Während der Schauspieler allein auf der Bühne steht, macht der Soldat dessen Frau, der Diva Maria Tura (Katja Thiele), in der Umkleidekabine den Hof. Nach der Besetzung Polens entwickelt sich aus dem Techtelmechtel eine lebensgefährliche Verwicklung. Der Fliegeroffizier Stanislaw Sobinsky (Sergej Gößner), inzwischen bei der polnischen Exilregierung in London, will über einen gewissen Professor Silewski (Tobias Bode) der angebeteten Diva in Warschau eine Nachricht zukommen lassen. Weil der Professor von der in Polen sehr berühmten Schauspielerin noch nie etwas gehört hat, enttarnt er sich als Spion der Nazis. Und da er im Besitz einer Liste sämtlicher Widerstandskämpfer ist, muss er beseitigt werden, bevor er die brisante Information an Gestapochef Erhardt (Thomas Peters) weitergeben kann. Die Schauspieler in Warschau verwandeln das Theater kurzerhand in die Gestapo-Zentrale und übernehmen die Rollen der Nazi-Häscher und -Agenten. Ein ebenso absurdes wie turbulentes Verwechslungsspiel beginnt. Am Ende sitzen die Schauspieler in einem Flugzeug, das sie wohlbehalten in die Freiheit bringt. „Sein oder Nichtsein“ bietet nicht nur, ähnlich der russischen Schachtelpuppe Matroschka, den Reiz eines Theaters im Theater. Selten dürfte die Drehbühne im Pfalzbau so häufig zum Einsatz gekommen sein. Ständig wechselt die Szene zwischen Umkleidekabine, Gestapo-Zentrale und großer Bühne für den Hamlet-Monolog. Und tatsächlich erhebt sich in der dritten Reihe immer wieder Leutnant Sobinsky, um den Saal zu verlassen. Das Stück zieht aber auch sämtliche Register der Komödieneffekte. „Ein Verbrechen gegen die Kultur“, schimpft Hamlet-Darsteller Josef Tura nach dem deutschen Überfall. „Schon zum zweiten Mal einfach so aufzustehen, mitten in meinem Monolog.“ Nichts könnte den mittelmäßigen Schauspieler in seiner Eitelkeit besser entlarven als diese Worte. Und wenn sich Tura, der die Rolle des toten Professors Silewski übernommen hat, beim Gestapo-Chef selbst denunziert, ist das Durcheinander perfekt. Regisseurin Caroline Stolz nimmt das Stück in seiner spielerischen Leichtigkeit, ohne es mit allzu viel historischer Last oder blasser Gedankentiefe zu befrachten. Die Nazis werden humoristisch klein gemacht, die Unterdrückten gehen aus dem Kuddelmuddel als Sieger hervor. Neben Charlie Chaplins „Der große Diktator“ aus dem Jahr 1940 gilt Ernst Lubitschs Film als eine gelungene Satire auf das Naziregime. Chaplin jedoch soll sich nach dem Krieg, als das gesamte Ausmaß der Nazi-Gräuel bekannt wurde, von seinem Film distanziert haben. Ein befreites herzhaftes Lachen war auch jetzt vom Publikum in Ludwigshafen nicht zu hören. An der turbulenten Inszenierung kann dies nicht gelegen haben.

x