Kusel Wie Menschen mit Demenz durch Musik fit gehalten werden

Nicht bei allen Liedern mussten die Betreuerinnen in der Tagespflege am Grabenpfad den Seniorinnen und Senioren Textblätter aust
Nicht bei allen Liedern mussten die Betreuerinnen in der Tagespflege am Grabenpfad den Seniorinnen und Senioren Textblätter austeilen. Denn viel Musik ist noch im Gedächtnis verankert.

Musik kann die Lebensqualität demenzkranker Menschen verbessern und gegen das Vergessen wirken. Im Kreis Kusel läuft gerade ein Singprojekt, in das Senioren eingebunden werden, auch solche, die unter der Krankheit leiden. Die RHEINPFALZ hat eine Singstunde in der Kreisstadt besucht.

Eine Seefahrt, die ist lustig. Eine Singstunde mit den Seniorinnen und Senioren in der Tagespflege am Grabenpfad in Kusel ebenfalls. Es ist ein Donnerstagvormittag im August: Gelächter dringt aus einem Aufenthaltsraum in der Betreuungsstätte auf den Flur. Vor der Tür wurden die Rollatoren abgestellt, im Inneren hat sich ein Stuhlkreis gebildet. Neun Damen und fünf Herren im fortgeschrittenen Alter sitzen dort und unterhalten sich munter mit den Betreuerinnen Nina Drumm und Silvia Zaharanski.

Eigentlich sollen heute Seefahrtslieder gesungen werden, aber die Frau, die die Singstunde leitet, Angelika Rübel, ist noch nicht da. Auf dem Schoß von Nina Drumm liegt die aktuelle Ausgabe der RHEINPFALZ. Ihr Inhalt sorgt für Gesprächsstoff. Ein Thema ist die Kuseler Herbstmesse. Aber auch der Wurstmarkt in Bad Dürkheim kommt zur Sprache: „Dort steht dieses Jahr ein Riesenrad, das 80 Meter hoch ist“, sagt Drumm mit Blick in die Zeitung. „Wer würde sich denn trauen, damit zu fahren?“, fragt sie in die Runde. „Ich!“, rufen gleich mehrere Seniorinnen. Nina Drumm ist beeindruckt. Sie gesteht, dass sie sich das selbst nicht zutrauen würde.

Singend durch die Jahreszeiten

Auch um die Paralympics, die spätsommerliche Hitze und ein mögliches Werbeverbot für Süßigkeiten dreht sich das Gespräch. Schließlich geht die Tür auf und Angelika Rübel kommt herein. Sie nimmt hinter ihrem E-Piano Platz, packt Notenblätter und Liederbücher aus. Das Aufwärmprogramm startet – und da es der Gruppe wohlbekannt ist, sind dafür keine Liedblätter nötig. Erst heißt es „Es ist wieder Donnerstagmorgen, wir vertreiben unsere Sorgen“, danach „Sing mit mir ’ne alte Melodie“ – in Anlehnung an den Originaltitel „Spiel mir eine alte Melodie“. Bei letzterem Lied will Angelika Rübel von der Gruppe wissen: „Wer hat das ursprünglich gesungen? Wisst ihr das?“ Klaus Zimmer aus Kusel hat die Antwort: „Das war Lale Andersen.“

Die Tagesbetreuung am Grabenpfad ist eine Einrichtung der Ökumenischen Sozialstation Kusel-Altenglan. Das Singen mit an Demenz erkrankten Menschen findet aktuell aber nicht nur dort statt, sondern auch in der Sozialstation in Brücken. Thematisch orientiert sich das Liedgut an den Jahreszeiten. „Noch haben wir Sommer“, sagt Angelika Rübel zu den singfreudigen Senioren. „Aber langsam geht es in Richtung Herbst.“ Daher will sie die letzte Singstunde im August noch einmal nutzen und auf Reisen gehen – auf Seereise, um genau zu sein. „Wer weiß, wie die Lieder genannt werden, die die Seemänner immer gesungen haben?“, richtet sie erneut eine Frage an die Singbegeisterten. „Da gibt es einen ganz bestimmten Begriff.“ Wieder weiß Klaus Zimmer die Antwort: „Shantys“, sagt er.

Musik ist etwas, das bleibt

Wenig später spielt Angelika Rübel auf dem E-Piano ein Lied an – jedoch ohne zu verraten, wie es heißt. Und schon nach wenigen Tönen zeigen sich viele erfreute Gesichter in der Gruppe. Die Seniorinnen und Senioren stimmen ein: „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt ...“ Rübel sieht hier das bestätigt, was auch schon die Forschung festgestellt hat: Musik bleibt auch im Falle einer Demenz auffallend lange im Gedächtnis und kann dazu beitragen, das Gehirn aktiv zu halten. „Das Langzeit-Musikgedächtnis bleibt überraschend lange funktionsfähig – daher ist es wichtig, dass dort auch etwas angelegt ist“, unterstreicht sie die Wichtigkeit der Musik allgemein und speziell deren Bedeutung für Menschen im hohen Alter.

Die Singstunde mit dem Thema Seefahrt führt die Gruppe durch viele verschiedene Länder, Italien und Griechenland etwa. Werner Allmann aus Ulmet, einer der Senioren, berichtet zwischen zwei Liedern davon, dass er mit dem Kreuzfahrtschiff unter anderem schon nach Madeira und Sizilien gefahren ist. „Seefahrtslieder gefallen mir einfach gut“, lobt er die Singstunde. Und Helga Schneider aus Gimsbach berichtet: „Ich singe auch zu Hause gerne – vor allem mit meinen Enkelkindern.“

Konzert für Ende November geplant

Auch die übrigen Lieder künden von Fernweh und Sehnsüchten, von der Liebe zur See, aber auch zu den Frauen. Eine kritische Anmerkung kann Angelika Rübel sich nicht verkneifen: „Teilweise haben die Seemänner ganz schön einen raushängen lassen“, sagt sie mit Bezug auf das Lied „Schön ist die Liebe im Hafen“, in dem es an einer Stelle zum Beispiel heißt: „Mädel, kannst du küssen? Dann gib heute acht!“

Das Singprojekt mit den Senioren ist eines von mehreren Projekten unter der Überschrift „Länger fit durch Musik!“, die vom Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO) gefördert werden. Träger des Projekts ist der Kreischorverband Nordwestpfalz. Ein Konzert ist für Samstag, 30. November, in der Stadtkirche Kusel geplant: Dort sollen die Menschen aus den Betreuungseinrichtungen zusammen mit den U-Hus, den Unter-Hundertjährigen, singen. Diese proben zurzeit an drei Standorten im Landkreis. Das Konzert ist öffentlich und als Mitmachkonzert konzipiert. „Familienangehörige und Besucher bekommen nämlich Gelegenheit zum Mitsingen“, sagt Rübel, die das Ganze als Pilotprojekt für ein neues Konzertformat sieht. Die U-Hus singen bei dem Konzert zum Teil alleine, zum Teil mit den Seniorengruppen. Mitwirken werden laut Rübel auch eine Band und ein oder zwei Gesangssolisten.

Zwei Singetage auf der Burg

Das Konzert selbst wird nicht vom BMCO, sondern vom „Netzwerk für das Alter“, einer Initiative des Landkreises, gefördert. Zusätzlich sollen, ebenfalls im November, zwei Singetage mit den U-Hus und den Seniorengruppen auf Burg Lichtenberg stattfinden: am 20. und am 27. November, jeweils von 9 bis 13 Uhr. Diese Veranstaltungen sind auch für Angehörige offen.

Das Projekt läuft bereits seit dem Frühjahr. Die Lieder behandeln die verschiedenen Jahreszeiten.
Das Projekt läuft bereits seit dem Frühjahr. Die Lieder behandeln die verschiedenen Jahreszeiten.
Im November singen die Demenzgruppen aus Kusel und Brücken zusammen mit den U-Hus, den Unter-Hundertjährigen, bei einem Konzert.
Im November singen die Demenzgruppen aus Kusel und Brücken zusammen mit den U-Hus, den Unter-Hundertjährigen, bei einem Konzert.
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