Kusel Feine Weine aus St. Julian einst im Adlon kredenzt

91-68554225.jpg

Dorfspaziergang: Orientalische Pinguine? Das gibt’s wohl nur in „Dillje“. Zumal an das Pinguinnest auch noch fast direkt „Neu-Korea“ angrenzt. Paris wurde hier schon mal erbaut, und die Hölle ist auch nicht weit. Dagegen sind sich die vier Ortsteile nicht immer so nah.

Gumbsweiler, Eschenau, Obereisenbach und St. Julian haben ihre eigenen Identitäten. Dafür sprechen allein vier Kerwen, vier Friedhöfe, (noch) vier Spielplätze und drei Dorfgemeinschaftshäuser. Ein weiterer Grund für die weitgehende Autonomie der Ortsteile ist die Entfernung. Wer etwa von Gumbsweiler nach Obereisenbach will, wird meist die Hölle passieren. Die „Hell“, wie der Abschnitt der B 420 in der Ortsmitte genannt wird, hat am Dorfspaziergangs-Samstag aber keinen höllischen Verkehr. Wann der Ausbau erfolgt, ist laut Ortsbürgermeister Philipp Gruber noch ungewiss. „Vielleicht 2017“, sagt er, einige Anlieger müssten noch zustimmen. Aus dem Fenster der ehemaligen Wirtschaft schaut der Wirt, was sich draußen tut. Im Pfarrhof an der Kirche werden gerade Tische für das „Willkommensfest der Kulturen“ aufgestellt. Fünf Eritreer leben hier, zwei leisten im Dorf gemeinnützige Arbeit. Am klassizistischen Pfarrhaus entlang führt Beigeordneter Wolfgang Reths hinter den markanten Kirchbau von 1881. Dort sind historische Grabsteine aus dem alten Kirchhof aufgestellt – der älteste von 1747. Am 880 Jahre alten Turm macht der Steinmetz auf römische Spolien aufmerksam. Einige befinden sich auch im Landesarchiv, weiß Gruber. Im Speyerer Historischen Museum werde St. Julian als „pfälzische Weinbaugemeinde“ geführt. „Alle Südhänge waren bepflanzt, im Dorfarchiv gab es eine Getränkekarte aus dem Berliner Adlon mit Tropfen vom ,Hewel’“, erzählt er. Vom Weinberg auf den Dorfplatz: Vor der alten Schule haben die „Dilljer“ vor einigen Jahren Paris aufgebaut. Beim Hammerdorf-Wettbewerb sei dort richtig was los gewesen, erläutern sie. Viel Betrieb herrscht auf der Draisinenstrecke im Glantal, schildert Gruber, beim Kreis für das Projekt verantwortlich. Weitere Touristenattraktion: „Die Ölmühle von 1730 ist eine der letzten noch funktionierenden, historischen Ölmühlen“, sagt Gruber stolz. Wenige Meter weiter beginnt die Siedlung „Neu-Korea“. Auf dem Weg verrät Gruber: „Für mich kam es nie in Frage, Dillje zu verlassen.“ Touristen schätzten den Fremdenverkehrsort schon vor dem Krieg. Mit „herrlichen Ausflügen ins Naturschutzgebiet Schwarzland“ warb die Bahn auf der Linie Mainz-Eschenau-Metz-Paris. Die Vorzüge St. Julians kannte auch Landrat Gustav Adolf Held: In einem Gedicht zum 100. Geburtstag des Gesangvereins reimte er eine Lobeshymne nicht nur auf den Ort, sondern auch auf dessen Frauen und Mädchen... Süß duften die Linden am Bahnhof. Von mehreren Wirtschaften ist nur noch das Sportheim geöffnet. Die Liste mit Gewerben ist lang. Neben einem Autoteilezulieferer und Baufirmen gibt es noch einen Haupterwerbslandwirt. Von acht Mühlen ist eine aktiv, doch im Ort findet sich nur eine Bäckerfiliale. Apropos: Stefanie Noé, die „verrückte Backfee“ ist für ihre süßen Torten-Dekorationen bekannt. Nicht ganz so bunt: die Werke von Dietmar E. Hofmann, dem „Vorsteher“ der Galerie „Kleiner Kunstbahnhof“. Was fehlt? „Ein Arzt“, sagt Margit Klahr-Bender, nachdem Günter Zytariuk keinen Nachfolger gefunden hatte, und Gruber ergänzt: „Kinder“. Zwar gibt es „Bewegungskindergarten“ und Grundschule. Dennoch schlage der demografische Wandel im Ort zu. „Ich habe ziemlich viele Geburtstagstermine von Senioren im Kalender“, berichtet Gruber, mit 28 der jüngste Dorfchef im Kreis. 26 Leerstände gibt es. Und zwei Neubaugebiete. Zwar sei die Gemeinde mit dem Verkauf der Bauplätze recht zufrieden, doch Schulden sind auch hier kein Fremdwort. Zugute komme der Gemeinde die Eigenständigkeit der Vereine, meint Benjamin Gilcher aus Eschenau. Er sieht ein gewisses Konkurrenzdenken auch als Antrieb. Dennoch könnte die Gemeinschaft zwischen den Ortsteilen besser sein, findet Thomas Jung, Vorsitzender des Wunnervereins. Am ersten Juli-Wochenende feiert Eschenau beim „Wunnerfest“ 675 Jahre – mit Begleitung des Gumbsweiler Mandolinenorchesters. Die Bürgergemeinschaft stärken, das versuchen derzeit Bewohner von Obereisenbach. Bei dem Projekt „Tante Klara“ soll ein Backhaus mit Treffpunkt entstehen, sagt Sören Büllesfeld. „Wir sind 20 Leute und machen alles in Eigenregie.“ Relativ autark sind auch die Gumbsweiler „Pinguine“. In einem Buswartehäuschen, vor dem noch nie ein Bus gehalten hat, treffen sich regelmäßig Frauen und Männer. Während die Frauen, darunter mit 94 auch die Älteste im Dorf, das Areal mit Blumen verschönern, arbeiten die Männer im Häuschen die Dorfgeschichte auf. „Wie im Orient“, kommentiert Heinrich Cappel. Ihren tierischen Namen haben die Rentner, weil sie bei jedem fremden Auto „wie die Pinguine“ aufstehen und dem Fahrer interessiert nachschauen. Zumindest bis um 12 Uhr die Glocke der kleinen Dorfkirche läutet. Dann ruft das Essen am heimischen Mittagstisch. Info 95 Dörfer und drei Städtchen liegen im Landkreis. Von A wie Adenbach bis W wie Wolfstein machen wir uns auf, sie zu erkunden, uns ihre Besonderheiten zeigen zu lassen, Geschichte und Geschichtchen zu erfahren. Jeden zweiten Donnerstag erzählen wir aus einem anderen Ort.

x