Kreis Germersheim Drei politische Lager kämpfen um Wähler

Wahlzettel für Reichstagswahl 1932.
Wahlzettel für Reichstagswahl 1932.

«Kreis Germersheim.» Am 24. September 2017 wird der Bundestag gewählt. Es gilt die allgemeine, gleiche, direkte und geheime Verhältniswahl. 1918/19 hatte die deutsche Republik dieses freiheitliche Staatswahlrecht eingeführt. Schon damals prägte es das politische Gesicht des Landkreises.

Wie vor 1918/19 stammten die im Germersheimer Bezirk vertretenen Parteien aus drei politischen Lagern: dem aus Konservativen und Liberalen bestehenden nationalen, dem katholischen und dem sozialistischen. Lange hatte hier das strenge Vereinsgesetz feste Organisationsstrukturen verhindert. Solche bildeten sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bis dahin behalfen sich die Liberalen mit befristeten Honoratiorenkomitees für kürzere Agitations- und Wahlkampagnen. Nun betreuten ständige liberale „Kantonal“-Ausschüsse an den Amtsgerichtssitzen Germersheim und Kandel die nähere Umgebung. Als Sachwalterin katholischer Belange konnte das Zentrum auf die Unterstützung des Klerus und des kirchlichen Vereinswesens bauen. Im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg entstanden außerdem örtliche Zentrumsvereine. Gleichzeitig strebte die SPD nach flächendeckender Präsenz im Kreis. Ihre politischen Rivalen knüpften nach 1919 ebenfalls engere Filialnetze. Dabei wurden sie vom Verhältniswahlrecht begünstigt. Es ebnete die einstigen Hochburgen tendenziell ein und erhöhte den Konkurrenzdruck. Inmitten der Krisen- und Notzeit waren die kriegsbedingten Rückschläge der Organisationsarbeit schwer zu beheben. Die Wiederbelebung beziehungsweise Neugründung von Ortsvereinen ging recht zögerlich vonstatten. Als letzte etablierten sich ab 1926 die Kommunisten und Nationalsozialisten. Auf Bezirksebene bot die räumliche Verteilung und Tätigkeit der Parteien ein uneinheitliches, lückenhaftes Bild. Fast ein Jahrzehnt hatte das überkommene Fünf-Parteien-System auch unter dem Verhältniswahlrecht Bestand. Splitter- und Interessenparteien sowie Ausdifferenzierungen änderten daran wenig: Mit der bundesstaatlich begrenzten Bayerischen Volkspartei (BVP) existierte seit November 1918 eine zweite katholische Partei. Sie gab sich bayerisch-eigenstaatlich, war erheblich konservativer getönt und agrarischen Interessen enger verbunden als das Zentrum. Von der SPD abgespalten hatten sich 1916 die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD). Ihre Mitglieder wanderten 1921/22 größtenteils zur KPD. Weiterhin getrennt marschierten die Liberalen: Die Deutsche Demokratische Partei (DDP) vereinte linksliberal Gesinnte, während die Deutsche Volkspartei (DVP) die einst mächtigen Nationalliberalen beerbte. Das in agrarische und konservative Gruppierungen zersplitterte rechte Lager fand 1924 in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) zusammen – mit fließendem Übergang zur DVP. Bis zum März 1933 stieg die Zahl der Wahlberechtigten im Bezirk Germersheim kontinuierlich um 20,2 Prozent auf 37833 Menschen. Es fanden neun Reichstagswahlen statt (1919, 1920, Mai/Dezember 1924, 1928, 1930 Juli/November 1932, 1933). An ihnen nahmen zwischen 66,1 (Mai 1924) und 94,5 Prozent (1933) der Stimmberechtigten teil. Ähnlich viele Menschen gingen zu den fünf Landtagswahlen (1919, 1920, 1924, 1928, 1932): 65,8 (1924) bis 83,1 Prozent (1932). Ein geteiltes Echo fanden die Reichspräsidentenwahlen 1925 (59,1 Prozent) und 1932 (87,7 Prozent). Bei den Volksentscheiden zur Fürstenenteignung (1926) und zum Anti-Young-Plan (1929) votierten lediglich 19,6 beziehungsweise 3,5 Prozent. Grund dafür war eine breite Boykottfront. Abgesehen von den Jahren 1919 und 1932/33 lag die Beteiligung deutlich unter dem Reichs-/Landesdurchschnitt, hauptsächlich weil Frauen seltener wählten. 51,3 (Mai 1924) bis 40,5 Prozent (1933) der Wähler profilierten den Bezirk zur BVP/Zentrums-Hochburg. Eine beachtliche Stärke besaß daneben die rechtsliberale DVP, das Sammelbecken des protestantischen Mittelstands. Auf sie entfiel rund ein Viertel der Stimmen. 1928 halbierte sich dieser Anteil. Das zeigte, wie sehr die Bindekraft im bürgerlichen Lager schwand und das Parteiensystem aufweichte. Weniger als ein Prozent machte die DVP 1932/33 bedeutungslos. Ihr Schicksal teilte die linksliberale DDP, die von 6,1 (1919) auf 0,1 Prozent (1933) schrumpfte. Ebenfalls unter ein Prozent stürzten die konservativ-protestantischen Deutschnationalen, Hauptkonkurrenten der DVP. 1924/28 errangen sie zwischen 4 und 5 Prozent. Auch die SPD war durch Einbußen langfristig geschwächt. Zunächst hatte das Protestwählerpotenzial des Weltkriegs für ein Rekordhoch von 24,1 Prozent gesorgt. Dank ihrer Arbeiter-Kernklientel konnte die Partei zwischen 1920 und 1930 ein knappes Fünftel der Stimmen behaupten. Davon verblieb ihr 1933 mit 10.3 Prozent rund die Hälfte. Erstaunlich gute Ergebnisse auf schwierigem ländlichen Terrain verbuchte aber die seit 1924 angetretene KPD: Sie errang zwischen 2 (1928) und 7,3 Prozent (1932). Verbände wie der Rote Frontkämpferbund assistierten eifrig. Ihr Erfolg ging zu Lasten der Sozialdemokraten. Rückhalt fand die KPD vor allem in Gemeinden mit vielen Industriearbeitern, enorme Schubkraft verlieh das Massenelend der Weltwirtschaftskrise. Bezirksweit lagen beide Arbeiterparteien jedoch erheblich unter dem Reichsdurchschnitt. Den übertraf dann die NSDAP – seit ihrem Erstauftritt 1928 um 2 bis 5.6 Prozent (1932). Bereits 1926 hatten die pfälzischen Behörden „größte Regsamkeit“ beobachtet. Binnen fünf Jahren schnellten die hiesigen Nationalsozialisten von 4,6 auf 43,5 Prozent (1933) empor. Ende der 1920er Jahre gewannen sie die konservativ-liberale Wählerschaft der protestantisch-bäuerlichen Kommunen. Seit 1930 punkteten sie auch in katholischen und Arbeiterkreisen. Das national-völkische Gedankengut, der fanatisch-aggressive Stil und der messianisch verklärte Führerkult faszinierten zunehmend. Propagandamärsche, das Faustrecht der SA-Kolonnen, ein markiger Aktionismus und diffamierende, zeitgemäß griffige Parolen brachten großen Zulauf. Als dynamisch und unverbraucht wirkende Volkspartei überflügelte die NSDAP 1933 den im Bezirk führenden politischen Katholizismus. Ihren heterogenen Anhang konnte sie ideologisch integrieren, Bruchlinien propagandistisch überbrücken. Flexibler als andere agierten die Nationalsozialisten in der agrarischen und bürgerlichen Lebenswelt. Geschickt bedienten sie dort die verschiedenartigsten, mitunter widersprüchlichen Erwartungen, ohne sich festzulegen. Am 14. Juli 1933 waren dann alle Parteien außer der NSDAP verboten. Reichs- und Landtag waren ausgeschaltet, die Wahlen somit überflüssig geworden. Der erste Teil ist gestern erschienen. Lesezeichen —Die Wahlergebnisse sämtlicher Kreis-Gemeinden des Zeitraums hat der Autor detailliert dargestellt: „Politik und Wahlverhalten in den Gemeinden des Bezirksamts Germersheim. Die Landtags-, Reichstags-, Reichspräsidentenwahlen und Volksentscheide von 1919 bis 1933“, in: Schriftenreihe zur Geschichte des Landkreises Germersheim, Bd. 4 (N.F.), Germersheim 2016, 276 Seiten, 19,80 Euro. —Bestellung: VHS Germersheim, Tel. 07274/53-319 oder email: k.traeber@kreis-germersheim.de

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