Kandel Ausstellung „Gegen das Vergessen“ bewegt Schüler

Das Porträt von Tadeusz Roguski, der unter anderem am Aufstand im Warschauer Ghetto und am Todesmarsch nach Dachau teilgenommen
Das Porträt von Tadeusz Roguski, der unter anderem am Aufstand im Warschauer Ghetto und am Todesmarsch nach Dachau teilgenommen hat, war drei Wochen lang im Schulgarten ausgestellt.

Die Porträts waren schon in New York, San Francisco, Wien, Berlin und Kiew zu sehen – und nun auch in Kandel. Die Rede ist von der Ausstellung „Gegen das Vergessen“ von Luigi Toscano. Der Künstler ließ es sich nicht nehmen, selbst in die Südpfalz zu kommen. Nicht nur für Schüler und Besucher war das ein Ereignis.

Er sei tief bewegt, sagt Luigi Toscano, nachdem er in der Aula der IGS Kandel ein Stück der Projekttheatergruppe der Schule gesehen hatte. Die Gruppe besteht aus Lehrern und Schülern unterschiedlichen Alters. Die beiden jüngsten Akteure besuchen die sechste Klasse, die ältesten Schauspieler stehen unmittelbar vor der Abiturprüfung. Gezeigt haben sie ein eigens für diesen Anlass von Lehrerin Almuth Fink-Rödel inszeniertes Stück, in dem ohne Worte das Leiden von Holocaustopfern greifbar gemacht wurde. Eine fröhliche Großfamilie mit spielenden Kindern, dann die dunklen Zeiten im Ghetto mit Judenstern auf der Brust, gefolgt von den Tagen im Konzentrationslager, wo „aussortiert“ wird: Die einen müssen in die Gaskammer, die anderen müssen weiter Zwangsarbeit leisten, bevor sie getötet werden. Überlebt hat kaum einer, ganze Familien wurden ausgelöscht.

Im ganzen Schulgarten standen überlebensgroße Porträts.
Im ganzen Schulgarten standen überlebensgroße Porträts.

Schicksale, wie sie Luigi Toscano oft gehört hat. Mehr als 400 Holocaust-Überlebende hat der in Mainz geborene und in Mannheim lebende Fotograf seit 2014 porträtiert. Er hat sie in Deutschland, den USA, Österreich, der Ukraine, Russland, Israel, den Niederlanden, Frankreich und Belarus besucht. Sich ihre Lebens- und Leidensgeschichte angehört – und beeindruckende Fotos geschossen. Seit 2019 wird die Ausstellung „Gegen das Vergessen“ weltweit gezeigt. Ein Teil der überlebensgroßen Porträts war drei Wochen lang im Schulgarten der IGS Kandel zu sehen.

Zu dem Holocaust-Überlebenden Horst Sommerfeld hatte Luigi Toscano ein besonders enges Verhältnis.
Zu dem Holocaust-Überlebenden Horst Sommerfeld hatte Luigi Toscano ein besonders enges Verhältnis.

Zum Abschluss des Theaterstücks tragen die Darsteller jeweils ein Foto eines Holocaust-Überlebenden um den Hals. „Es hat mich sehr gefreut, dass ihr auch Horst Sommerfeld ausgewählt habt“, sagt Luigi Toscano zu den Schülern. Zwei Mal wird das Stück an diesem Abend aufgeführt. Am Ende beider Aufführungen spricht der Künstler zum Publikum, beantwortet Fragen. Eltern und Geschwister von Horst Sommerfeld wurden in Auschwitz getötet. Er selbst musste in weitere Konzentrationslager, bevor ihn die US-Armee befreite. „Zu Horst Sommerfeld hatte ich ein ganz enges Verhältnis, er wurde ein Freund, er war wie ein lieber Opa für mich“, erzählt Toscano dem Publikum. 2019 ist Sommerfeld gestorben.

Nach dem Theaterstück besuchten die Zuschauer noch die Ausstellung im Schulgarten.
Nach dem Theaterstück besuchten die Zuschauer noch die Ausstellung im Schulgarten.

Nach den beiden Aufführungen werden die Zuschauer durch den Garten geführt. Oberstufenschüler geben einen kurzen Einblick in das Leben der Porträtierten. Und natürlich hat Luigi Toscano ganz persönliche Erinnerungen an die Überlebenden des Holocaust. Etwa an Walter Frankenstein, der inzwischen in Stockholm lebt. „Walter liest täglich eine deutsche Tageszeitung“, erzählt Toscano. Und in dieser Zeitung war ein Bericht über seine Ausstellung in Berlin. Zu sehen war der Deutsch-Italiener mit einem Foto von Horst Sommerfeld. Walter Frankenstein hat seinen alten Schulfreund Horst Sommerfeld erkannt. „Ich habe den Kontakt der beiden hergestellt“, erzählt Toscano.

Toscano erzählt auch von einer KZ-Überlebenden, die er in der Ukraine traf. Die Frau hatte noch nie über das Erlebte gesprochen, sie wollte es auch nicht. „Wir saßen im Wohnzimmer, die ganze Familie war dabei. Alle wollten zuhören, wenn Oma zum erstem Mal über ihre Erlebnisse spricht“, berichtet Toscano. Es sei sehr bewegend gewesen.

Luigi Toscano
Luigi Toscano

Anfang Oktober gab es an der IGS – nach der Premiere im vergangenen Jahr – einen schulweiten Demokratietag. Auch da setzten sich die Schüler mit dem Thema Holocaust auseinander. „Die Ausstellung wurde von den Schülern sehr gut angenommen, das Interesse war groß“, sagt Schulleiterin Melanie Müller. Sie ist auch froh, dass die alle überlebensgroßen Porträts die Ausstellung in Kandel gut überstanden haben. Zeitgleich wurde ein anderer Teil der Ausstellung in Stuttgart gezeigt. Nach drei Tagen waren dort die ersten Bilder mit Nazischmierereien verunstaltet. „Das gab es bei uns zum Glück nicht. Die Schüler haben ganz genau darauf geachtet, dass ja kein Porträt beschädigt wurde“, so Müller.

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