Kaiserslautern Zoom-Konferenz aus dem Kinderzimmer
Als Annette Weisenstein vor 35 Jahren ihre erste Übungsleiter-Lizenz im Breiten- und Freizeitsport erwarb, lösten Jane Fonda und Sydne Rome gerade weltweit einen Fitness-Hype aus: Aerobic. Die bunten Gymnastikanzüge samt Stirnbändern sind längst verschwunden, was dagegen blieb ist der Drang nach Bewegung. Und das, in Zeiten eingeschränkter Möglichkeiten, mehr denn je.
Als ehemalige Postbedienstete engagierte sich Annette Weisenstein sehr früh in der Postsportgemeinschaft. Die gebürtige Pirmasenserin war begeistert vom Zusammenhalt, dem sozialen Miteinander. Und wollte etwas davon zurückgeben. Sehr schnell wurden auch andere Vereine und Organisationen auf sie aufmerksam. Sie belegte weitere Lehrgänge, erwarb zahlreiche Lizenzen im Gesundheits- und Rehabilitationssport. Seitdem ist sie „fasziniert, dass ich Menschen motivieren kann, sich zu bewegen und Übungen in den Alltag zu übernehmen“.
Das erste Mal auf dem Dreimeterbrett
Aus dem Hobby wurde Leidenschaft. Erst vor zwei Jahren erlangte sie die Qualifikation an der Sporthochschule in Köln zur Leiterin für Kurse im Baby- und Kleinkindschwimmen. Klingt erst einmal unspektakulär, ist es aber nicht: Das silberne DLRG-Rettungsschwimmabzeichen ist die Grundvoraussetzung. „Das ist schon spannend, wenn man mit 57 Jahren zum ersten Mal auf einem Dreimeterbrett steht.“ Inzwischen sind die Schwimmbäder geschlossen, zahlreiche Kurse abgebrochen. „Das tut mir in der Seele weh.“
Doch über mangelnde Beschäftigung darf sich Annette Weisenstein nicht beklagen. Da sie selbst als Teilnehmerin von Fortbildungsmaßnahmen beim Sportbund Pfalz den Lockdown zu spüren bekam, Dozenten und Mitschüler nicht mehr persönlich treffen konnte, reifte in ihr der Entschluss, die Trainingsstunden einfach online zu übertragen. „Die Vereine dürfen nicht zum Opfer der Pandemie werden“, gibt sie sich kämpferisch. Es sei deshalb nicht nur wichtig, Menschen in Bewegung zu bringen, sondern die Mitglieder an den Verein zu binden und ihnen „einen festen Punkt in der Woche“ anzubieten.
Die Sache mit dem Kinderzimmer
In einem leerstehenden Kinderzimmer hat sie ein Studio eingerichtet und eine Webcam installiert. Gemeinsam mit ihren beiden erwachsenen Kindern testete sie verschiedene Einstellungen, Licht und Ton mussten angepasst, die richtige Kleidung ausgesucht werden. Sie wollte nichts dem Zufall überlassen – und auch digital ein gutes Bild abgeben. Technische Probleme sollten schon vorab in Probeläufen ausgemerzt werden. Dabei war der Umgang mit Webcam und Zoom nicht nur für sie neu, sondern auch für viele ihrer Kursteilnehmer. „Manche haben das erste Mal in ihrem Leben einen Computer angeschaltet“, weiß sie aus Erzählungen.
Zu ihren ersten Vereinen als Übungsleiterin zählt der SV Wiesenthalerhof, wo Annette Weisenstein seit mehr als 25 Jahren das Frauenturnen leitet. Erste Online-Angebote gab es für die Bodyforming-Gruppe des SVW. Regelmäßig loggen sich bis zu 18 Frauen in den Kurs ein, sogar eine Weihnachtsfeier mit Zipfelmütze und Glühwein fand statt. Online versteht sich.
Vereine können Menschen bewegen
Die vielfältigen Ausbildungen helfen Annette Weisenstein jetzt auch in der Krise. So appelliert sie auch an andere Vereine, ihre Übungsleiter zu motivieren, damit Vereinsstrukturen nicht zerbrechen. „In jedem Dorf gibt es einen Verein, der mithelfen kann, die Menschen zum Sport zu bewegen.“ Neben Muskeltraining-Kursen für die Volkshochschule, haben sich zwischenzeitlich auch der TV Stelzenberg für die Bereiche Wirbelsäulengymnastik und Pilates sowie der TFC Kaiserslautern mit der Reihe „Bewegung für Zuhause“ in die Online-Kurse eingereiht. Hier finden sich wöchentlich bis zu 85 Teilnehmer im Alter von 30 bis 75 Jahren zusammen. Beim TuS Dansenberg darf die Übungsleiterin unter Auflagen sogar wieder medizinisch verordneten Rehasport anbieten. Doch die Kurse vermitteln mehr als die bloße Bewegung: Sie helfen Menschen aus der Isolation.
Was wie ein Mammutprogramm klingt, ist für Annette Weisenstein nach wie vor eine Freude. „Regelmäßig Menschen zu treffen, auch wenn es nur digital ist, ist kein Stress.“ Sie freue sich, bald ihre Kurse wieder im Freien oder in der Halle anbieten zu können. Denn einige ihrer Kursteilnehmer hat sie bis heute nicht persönlich kennengelernt. Was umgekehrt natürlich auch gilt.