Kaiserslautern Was im Museum steht, muss Kunst sein

Man nehme ein Schauspiel, ein Kunstwerk, ein Dutzend Staffeleien und Leinwände, gehe „monochromen Schwingungen“ eines gewissen Herrn Antorius nach, feuere eine Expertenrunde an, über den Begriff Kunst zu referieren, und mixe dies zu einer Tinktur einer Kunstnacht. So geschehen Samstagnacht. Oben auf dem Museumsberg. Ein Rückblick mit Innenansicht der Pfalzgalerie.

Ein gellender Pfiff. Schweigen. Ein Foyer voller Augenpaare richtet sich gen Treppenaufgang. „Unser allererstes Mal! Eine Kunstnacht ganz für uns allein.“ Pfalzgalerie-Direktorin Britta Buhlmann strahlt, stellt das Team „SpVgg Widrige Umstände“ vor und macht mächtig neugierig, dem Begriff Kunst auf die Spur zu kommen. Und los geht es mit „Kunst“, einem Schauspiel von Yasmina Reza, in dem sie drei Protagonisten – Serge, Marc und Yvan – die Frage nach Kunst ausfechten lässt. Vor rappelvollen Stuhlreihen, oben im Slevogtsaal in sparsamster Kulisse: eine Bank mit Polster, eine Staffelei mit Leinentuch, ein Fenstersims mit Utensilien. Das war’s. Nein, nicht ganz. Denn da sind ja noch die drei dicksten Freunde, durch und durch. Bis Serge (Rainer Furch), der Dermatologe, sich Kunst kauft. Ein Werk von einem gewissen Antorius. Ganz in Weiß. Durch und durch. Und irre teuer. Marc (Christian Higer) erfährt zuerst davon. Und ist sprachlos. Im Publikum schwillt derweil ein Raunen an. Wenn Furch mit aufrechtem Körper und zittriger Zärtlichkeit das Leintuch beiseite hievt. Wenn Higer mit leicht rückwärtiger Haltung und in Hosentaschen verbannte Arme das Bild anstiert. Und dann Yvan (Stefan Kiefer) als Dritter im Bunde den Verständnisvollen mimt. Dann lacht das Publikum, während Marc meint, dass es verletze, mit Serge nicht mehr lachen zu können, und unter den Freunden Aggression, Sarkasmus, Belehrung, Pseudophilosophie und Überheblichkeit den Ton bestimmen. Ihre Beziehung steht auf dem Spiel und dass wir, das Publikum, mittendrin in deren Schlamassel stecken, das hat vor allem damit zu tun, wie die Drei ihre Rollen verinnerlichten, wie präsent jede Faser ihrer Körper, wie überzeugt Stimm- und Tonlage, wie charakteristisch Gestik und Mimik waren. Das Stück ist eine Fundgrube menschlicher Beziehungskisten, verbaler Klischees, Wortkomik und -dramatik über anderthalb Stunden. Dies alles und mehr den Theaterbesucher derart unter die Haut gehen zu lassen – das ist Kunst. Weil da ein Dreiergespann dem Manuskript echt wirkendes, pralles und unbedingt sehenswertes Leben einflößte. Derart gewappnet, was „monochrome Vibrationen“ auf weißen Leinwänden anrichten können, ließen sich die Zuschauer dazu bewegen, mit bunter Kreide ihre „Ich bin besser als Antorius“-Version zu verewigen. Das Resultat wanderte als Collage in den Oberlichtsaal, wo Annette Reich in Form einer „Bewährungsprobe“ wissen wollte, für wen Frank Stellas Bildrelief „Untitled (Play School Hose)“ (1984 aus Metallstücken und Gartenschlauch) im Stile eines „objet trouvé“ Kunst ist und für wen nicht. Angeregt vom Schlagabtausch im Freundeskreis der Yasmina Reza, gelang ein reger, teils originärer Gedankenaustausch, wenngleich nah am Motto: Was im Museum steht, muss Kunst sein. Ein Zitat, das wiederum Madeleine Giese auf den Plan rief. Denn sie moderierte ein Podium, das verbal fortzusetzen plante, was als „Labyrinth der Definitionen“ bereits als Installation auf Papierbahnen im Foyer zum Weiterführen und Widersprechen anregte. Namentlich nahmen Schauspieldirektor Harald Demmer, die Freundeskreisvorsitzende der Pfalzgalerie, Bettina Bachem, Direktorin Britta Buhlmann, Künstler Roland Albert und Reich teil. Es dauerte nicht lange, da verschwammen die Grenzen zwischen Experten und Laien im Sinne eines Frage-Antwort-Gefälles, da zeigte sich, wie offen und zugleich vielschichtig und verdeckt sich jedweder Versuch, Regeln im Kunstbegriff zu finden, fehlschlägt. Daher sei hier aus Aktualitätsgründen die Diskussionswiedergabe mit dem Beispiel, an das Demmer erinnerte, abgekürzt: Gerade stellt Berlin den bekanntesten Künstler Chinas, Ai Weiwei aus, der – gefangen im Land – nicht ausreisen kann und seine Gefängniszelle als Kunstwerk zeigt: „Kunst deshalb, weil er etwas erzählen muss, aussagen muss.“ Das Fazit dieser Nacht: Tatsächlich geht uns alle diese Zelle an. Und der Übergang vom Gebrauchtgegenstand zum Kunstwerk lässt uns deren Bedeutung in der gegenseitigen Spiegelung um einiges tiefer verstehen. So wie die Spiegelung der drei Freunde untereinander. So wie die Rettung von Farben und Formen vor dem Nichts des monochromen Weiß. Eine bemerkenswerte Nacht, in der, entgegen eines solch heiß und ewig diskutierten Themas, eine heilsam heitere Stimmung herrschte.

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