Kaiserslautern „Jeder hat eine Art magisches System“

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Knapp vier Wochen nach seinem 82. Geburtstag erscheint mit „You Want It Darker“ das 14. Studio-Album des kanadischen Rockpoeten Leonard Cohen. Ohne die Hilfe seines Sohnes Adam, der das Album produzierte, wäre das künstlerische Erbe dieses Ausnahmekünstlers wohl nicht beendet worden. Während der Produktionszeit erkrankte Cohen am Rückenmark und wurde mit Opiaten behandelt. Ein Woche vor der Veröffentlichung des in der Tradition seiner früherer Platten stehenden Alterswerkes fand im „Kanada-Haus“ in Bevery Hills/ Los Angeles ein „Abend mit dem Künstler“ statt. RHEINPFALZ-Mitarbeiter und Cohen-Buchautor Christof Graf war dabei und erfuhr mehr über Cohens Gesundheitszustand, seine Einschätzung über Bob Dylans Nobelpreis und über die Arbeit an dem Album „You Want It Darker“.

Zu allererst, wie geht es Ihnen?

Ich habe vor Kurzem gesagt, das ich bereit war zu sterben, aber ich glaube, ich habe überreagiert. Man neigt ab und zu zur Selbstdramatisierung. Eigentlich plane ich, für immer zu leben. Warum wurde ihr neues von ihrem Sohn Adam produziert? Mein Sohn und meine Tochter sind eine unheimlich treibende Kraft gewesen, insbesondere durch die etwas schwierige Zeit vor Kurzem. Ich bin gesegnet und zugleich dankbar für ihre Gesellschaft und ihre Unterstützung. Adam ist ein toller Singer-Songwriter. Er hat wie kein anderer eine detaillierte Aufmerksamkeit für meine Arbeit. Er hat den rechten Blick und das richtige Ohr dafür, was ich mag, wonach ich suche. Er kann das besser als jeder Außenstehende, nur so war es möglich, dieses Album abzuschließen. Hat die Arbeit mit Ihrem Sohn Ihre Vater-Sohn-Beziehung verändert? Wenn man Glück hat, verstärken sich Sachen zwischen Mitgliedern einer Familie. Wenn man kein Glück hat, tun sie es nicht. Wenn man Pech hat, verschlechtern sie sich. Ich hatte viel Glück. Ich habe eine enge Beziehung mit meinem kleinen Freundeskreis und den Mitgliedern meiner Familie und meinen Enkeln, also, soweit so gut. Gerade erschien in der amerikanischen Zeitschrift „New Yorker“ ein umfangreicher Artikel über Sie. Darin erwähnt wird auch der ewige Vergleich zwischen den Rockpoeten Leonard Cohen und Bob Dylan. Gleichzeitig wurde heute bekannt , dass Bob Dylan den Literaturnobelpreis erhält. Können Sie dazu etwas sagen? Es war sehr nett und sehr großzügig, was Dylan über mich in dem Artikel gesagt hat. Aber ich werde kein Kommentar über das, was er gesagt hat, abgeben, aber ich werde mich dazu äußern, dass er den Nobelpreis erhalten hat: Für mich ist das, als würde man dem Mount Everest eine Medaille dafür verleihen, dass er der höchste Berg ist. Es gibt Mutmaßungen, dass sich noch über 200 Songs in ihrem Archiv befinden. Wird es noch weitere Alben geben? Ich habe schon öfters gesagt, dass, wenn ich wüsste, wo die guten Songs herkommen, würde ich öfters dorthin gehen. Jeder hat eine Art magisches System. Sie sind selber ein Autor. Jeder hat ein System, das er in der Hoffnung verwendet, es würde weitere Kanäle öffnen. Mein Verstand war immer ziemlich überladen, also hab ich den Schritt gemacht, meine Umgebung zu vereinfachen. Ich weiß nicht wirklich, wie viele Songs es sind, und was davon noch für ein Album gut ist. Das „Artwork“ des Albums enthält zwei Überraschungen: Der Kolibri, den es schon 1979 auf dem Album „Recent Songs“ und 1991 auf „The Future“ zu sehen gab, ist zurückgekehrt, und Sie halten eine Zigarette auf dem Plattencover, obwohl Sie ja eigentlich seit 2003 nicht mehr rauchen? Ja. Und der Kolibri. Ich habe diese kleinen Kreaturen schon immer geliebt. Ich fühle mich immer gesegnet, wenn sie auftauchen. Sie besitzen eine magische Qualität. Ich habe endlich einen in einem Song besungen. Ich hatte schon viele Songs mit Kolibris geschrieben, aber nie ist etwas daraus geworden. Es gibt mehrere religiöse Verweise in dem Album, was nicht unüblich ist. Welches Gewicht hat Religion für Sie in diesem Lebensabschnitt. Hat es sich gesteigert, verringert? Ist es anders? Ich habe mich nie als religiöser Mensch gesehen. Ich habe keine spirituelle Strategie. Ich humpele einfach durch die Gegend, wie viele von uns in dieser Sphäre. Manchmal habe ich die Gnade einer anderen Präsenz in meinem Leben gespürt, aber ich kann damit keine spirituelle Struktur bauen. Von Gefühl her ist das einfach das Vokabular, mit dem ich aufgewachsen bin. Diese biblische Landschaft ist mir sehr vertraut, und es ist einfach natürlich, dass ich diese Meilensteine als Referenzpunkte benutze. Im Titelsong erscheint eine der bewegendsten Textstellen, wenn Sie singen: „Ich bin bereit, mein Herr.“ Können Sie den Moment beschreiben in dem Sie sich das ausdachten? Ich kenne nicht wirklich die Erschaffung, den Ursprung. Dieses „Hinemi“, diese Deklaration der Bereitschaft zu folgen, ist ein Teil, den jeder in seiner Seele besitzt. Wir sind alle durch tiefe Impulse und einen tiefen Hunger motiviert, zu dienen, auch wenn wir nicht immer herausfinden können, wem oder was wir bereit sind, zu dienen. Also, es ist einfach ein Teil meiner Natur, und ich denke auch ein Teil der Natur eines jeden anderen, sich selbst an dem Moment anzubieten, an dem kritischen Punkt, wenn die Notlage sich klar formt. Nur wenn die Notlage sich klar formt, können wir diese Bereitschaft zu dienen entdecken. Mehr Infos unter: www.leonardcohen.de und www.cohenpedia.de>

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