Kaiserslautern Ein Stück Lebenshilfe

Präsentieren ihr neues Album am Montag in der Kammgarn (von links): Gitarrist und Keyboarder Rick McPhail, Schlagzeuger Arne Zan
Präsentieren ihr neues Album am Montag in der Kammgarn (von links): Gitarrist und Keyboarder Rick McPhail, Schlagzeuger Arne Zank, Bassist Jan Müller und Sänger Dirk von Lowtzow, zusammen die Hamburger Band Tocotronic.

Jubiläum bei Tocotronic: Die Mitbegründer der „Hamburger Schule“ feiern in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. Am Montag, 12. November, 20 Uhr, gastiert das Quartett im Kulturzentrum Kammgarn. Unser Mitarbeiter Christof Hammer sprach mit Sänger Dirk von Lowtzow über Ängste, Gitarren und das Älterwerden.

Herr von Lowtzow, früher kamen Sie um sich zu beschweren, heute feiern Sie sehr gelassen Ihr 25-jähriges Bandjubiläum. Sind Sie altersmilde geworden?

Also, altersmilde würde ich uns noch nicht nennen. Wir beschweren uns immer noch ziemlich gerne und haben die Wut über bestimmte Verhältnisse längst nicht verloren. Ihre diesjährige Tournee führt Sie durch Metropolen wie Hamburg, Köln oder Berlin, aber auch durch etwas kleinere Städte wie Kaiserslautern. Macht es für Sie einen Unterschied, wo Sie gerade auftreten? Was die Größe des Publikums betrifft, gibt es in einer Stadt wie Berlin sicherlich eine enorme Sogwirkung. In kleineren Städten gilt unsere Musik eher als etwas obskur. Vor ein paar Monaten waren wir in Passau und haben dort einen unserer Konzertbesucher kennengelernt. Als er seinen Freunden erzählte, dass er zu Tocotronic geht, kannten die uns gar nicht. Er hingegen hatte sich schon monatelang auf den Gig gefreut. Was sagen Ihnen solche Begegnungen? Wenn Menschen so von unserer Musik angesprochen werden, wenn wir damit offenbar so etwas wie Lebenshilfe geben können, dann ist das sehr bewegend. Ich habe das ja selbst erlebt in meiner Jugend – ohne Bands wie Hüsker Dü hätte ich meine Pubertät auch kaum überstanden. Mit „Electric Guitar“ vom neuen Album „Die Unendlichkeit“ haben Sie einen Song über die Adoleszenz mit musikalischen Hilfsmitteln geschrieben, über Rock’n’Roll als Rettungsanker. Was war eigentlich Ihre erste Gitarre? Das muss ein Nachbau einer Gibson-Gitarre gewesen sein … sie war sehr schwarz – und sehr billig. Was für ein Modell spielen Sie heute? Haben Sie eine Lieblingsgitarre? Für einen Rockmusiker besitze ich ziemlich wenige Gitarren – nur drei Exemplare. Zu Hause arbeite ich gerne mit einer alten Akustikgitarre von Martin. Auf der Bühne benutze ich zwei E-Gitarren des Berliner Instrumentenbauers Frank Deimel, der auch Leute wie Lee Ranaldo von Sonic Youth beliefert. Sie und Ihre Bandkollegen gehen auf die 50 zu – was macht das mit Ihnen? Das Partymachen, die Aufregung des Konzerterlebnisses tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Wie man zusammenspielt, welchen Klang man als Gruppe erzeugt: Solche Aspekte werden umgekehrt immer wichtiger. Wir spielen heute viel gelassener und punktgenauer als früher. Privat ändert sich auch so manches – aber das würde ich gerne im Privaten belassen. Haben Sie Angst vor dem, was noch kommt? In „Unwiederbringlich“ singen Sie von Zeiten, in denen die Zukunft ausschließlich in Science-Fiction-Filmen stattfand – heute scheint die Gesellschaft als kollektives Versuchskaninchen dafür zu dienen, wie viel Technik und Zukunft in welchem Tempo noch zu verkraften ist. Die großen Zukunftsfragen der Menschheit sehe ich eher gelassen, für das Apokalyptische habe ich einfach keine Ader. Wobei ich das nicht als Tugend werten würde; vielleicht bin auch manchmal nur zu gedankenlos. Aber klar: Klimawandel, Nationalismus, der gesellschaftliche Rechtsruck – diese Entwicklungen sehe ich mit großem Unbehagen. Was individuelle Ängste betrifft, das Alleinsein etwa oder Versagensängste, bin ich übrigens keineswegs angstbefreit. Ihre einst gerne etwas abstrahierenden Texte werden derzeit deutlich autobiografischer, vor allem auf „Die Unendlichkeit“? Haben Sie keine Angst, Ihr Publikum mit zu viel Privatheit zu belästigen? Bei diesem Album war genau das die Herausforderung. Wenn man bei einem autobiografischen Werk nichts von sich preisgeben würde, wäre es ja wertlos. Aber gleichzeitig hatte ich Angst davor, die Hörer mit meinem Privatkram zu behelligen oder seltsam leutselig zu werden. So etwas kann ja auch sehr egozentrisch werden und zu einer Masche, um Nähe herzustellen. Ein Beispiel: Ob die Bücher von Karl Ove Knausgaard wirklich 8000 Seiten lang hätten sein müssen, darüber kann man wirklich diskutieren. Beobachten Sie eine Entwicklung bei sich als Texter? Früher habe ich oft versucht, meine Persönlichkeit in den Texten verschwinden zu lassen, mich in Abstraktion und Assoziation zu begeben. In den letzten Jahren sehe ich, dass ich zu einer fast klassischen Einfachheit zurückkehre. Der Verrätselungsfaktor Ihrer Musik geht wieder auf Normalmaß zurück? Genau. Wobei ich uns nie so stark verrätselt fand. Mit Techniken aus der Bildenden Kunst oder der Poesie zu arbeiten, war in unseren Anfangsjahren der richtige Weg, um uns auszudrücken. Zugleich wollten wir uns dadurch auch abgrenzen von einer bestimmten Kumpelei in der Rockmusik, von der man sich auch belästigt gefühlt hat. Man hat bisweilen ganz schön zu kämpfen mit seinem Ego, wenn man künstlerisch arbeitet … ... wenn man auf die 50 zugeht, kommt man scheinbar doch in ein Alter, in dem man etwas einfacher arbeitet und bescheidener wird, uneitler. Vor zehn, 15 Jahren war das aber genau richtig als Antihaltung zu einer Deutschpopszene, die sehr doof nationalistisch daherkam. Zu dieser Zeit in eine Art Elfenbeinturm zu klettern, sich auch in einen gewissen Dandyismus zurückzuziehen: Da war bestimmt auch eine Portion „fuck you“ mit drin – das fand ich aber ganz reizvoll damals. Ich danke fürs Gespräch. Konzert Am Montag, 20 Uhr, in der Kammgarn; Karten im Vorverkauf und an der Abendkasse.

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